Doktor im Glück
über den Plänen von Kanalisationsnetzen brüten könnte, bleibt nicht sehr viel übrig. Der Jammer ist, daß ich auf Grund meiner Anlagen für diesen Beruf ungeeignet bin.»
«Aber denke doch an all die vergeudeten Studienjahre!»
«Die sind keineswegs vergeudet», widersprach ich «Sieh dir die vielen berühmten Leute an, die sich eine ärztliche Vorbildung zunutze gemacht haben — Leonardo da Vinci, John Keats, Tschechow und so weiter. Von Crippen ganz zu schweigen.»
«Du mußt unbedingt einen Psychiater aufsuchen. Und wie wirst du indessen deinen Lebensunterhalt bestreiten, kannst du mir das sagen?»
«Ach ja. Ich gebe zu, das ist der springende Punkt.»
Weitere Erörterungen meiner Zukunft wurden durch das Erscheinen von Miles' Gattin abgeschnitten.
«Wie nett, daß du so bald zurückgekehrt bist, Gaston», begrüßte sie mich. «Wir dachten schon, daß du dein Glück im Norden zu suchen ausgezogen bist.»
«Ich bin der Meinung, daß die Gelegenheit, es in London zu finden, günstiger ist, Connie.»
«Fein. Nun werden wir mehr von dir zu sehen bekommen. Sagtest du etwas, lieber Miles?»
«Nichts, nichts», stotterte Miles.
Connie kannte ich recht gut. Ja, ich war dereinst regelrecht in sie verliebt gewesen.
Dies geschah zu jener Zeit, da ich noch Student war und Miles gerade zu Mr. Sharpers zweitem Hilfsarzt ernannt worden war — worauf er sich nicht wenig einbildete. Eigentlich waren Miles und ich, wenn ich es so recht bedenke, weder als Jungen noch im St. Swithin besonders dick miteinander gewesen. Miles war derjenige von uns beiden, der niemals seine Schuhe dreckig machte, stets Ordnung in seinen Geldern hatte, sich bei keiner Party betrank und keine Mandeloperation verhaute. In der Schule ließ er mich seinen Fußball aufblasen und seine Brötchen rösten. Dann folgte ich ihm ins St. Swithin und begann wie jeder andere das Medizinstudium mit dem Sezieren eines Katzenhais, was sich für alle weiteren Fischmahlzeiten meines Lebens als abträglich erwies. Miles hatte damals schon im Studium festen Fuß gefaßt, und als ich bis zum Anatomiesaal vorgedrungen war, pflegte er mich auf den Korridoren am Knopfloch zu fassen und mir väterliche Ratschläge zu erteilen.
«Wenn du etwas mehr von deiner Zeit dem Sezieren und etwas weniger dem Verfassen dieser blödsinnigen Aufsätze in der Studentenzeitung widmen würdest», war seine Walze, «verriete dies eine ernstere Auffassung deiner Karriere.»
«Aber den letzten fand ich recht spaßig. Über das Mädel, das behauptete, unter Klaustrophobie zu leiden, weil sie sich so schrecklich davor fürchtete, schwanger zu werden.»
«Glaub mir, Gaston, du wirst eines Tags deine Frivolität bitter bereuen. Halte dich an die Anatomie. Sie ist die Grammatik der Medizin.»
«Ich persönlich glaube», hielt ich ihm entgegen, «daß man uns Studenten mit Anatomie genauso anstopft, wie man uns als Kinder mit Lebertran und Sirup angestopft hat. Die Erfahrung ist so unangenehm, daß jeder überzeugt ist, sie muß gut anschlagen.»
«Ich weiß nicht, ob es nicht angezeigt wäre, meinem Vater zu schreiben», beendete er gewöhnlich unsere Gespräche.
Da mein Vater unglücklicherweise im Sanitätsdienst ein frühes Ende gefunden hatte, war ich unter einem viktorianischen System von Vormündern aufgewachsen, deren Hauptzahlmeister Dr. Rudolph Grimsdyke war. Zu jener Zeit betätigte sich Miles als sein Spitzel — Onkel Rudolph praktizierte damals im Fernen Osten — und dürfte mich wohl eines Tages denunziert haben, denn der alte Knabe beschnitt mitten im Studiengang meine Gelder auf die Hälfte. Ich weiß, daß es seit Puccinis «Bohème» als sehr romantisch gilt wenn Studenten in Mansardenstübchen Hungers sterben und dabei die eiskalten Händchen ihrer Mädel halten, aber eine derartige Existenz war durchaus nicht nach meinem Geschmack. Schon deswegen nicht, weil sämtliche Mädel, die ich kannte, selbst in lauschigen Cocktailbars entsetzlich über Zugluft klagten.
Kurz nach Eintreten meiner finanziellen Anämie machte Miles den Doktor, umglänzt von Auszeichnungen und Preisen aller Art.
«Gaston», sagte er eines Winternachmittags zu mir und schob mich in einen Winkel der Unfallabteilung des St. Swithin, «ich muß ein ernstes Wort mit dir reden.»
«Ja?»
«Ich wäre dir sehr zu Dank verbunden, wenn du mir nun, da ich dem Stab der Assistenzärzte des St. Swithin angehöre, etwas weniger Ungelegenheiten bereiten wolltest. Halte dir vor Augen, daß zumindest
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