Doktor im Glück
Bahnhof, beim Haarschneider, vor Prüfungen, und so weiter. Aber ist das nicht Darwins ?»
Miles bejahte es. «Ich hielt es für eine nützliche Einführung in das Medizinstudium.»
«Seit Monaten sehne ich mich danach, Darwins Ansichten über die natürliche Zuchtwahl zu diskutieren!»
«Und ich sehne mich seit Monaten danach, Humes Ansichten über den subjektiven Idealismus zu diskutieren!»
Woraufhin sie dicke Freunde wurden.
Kaum haben die Medizinstudenten des ersten Jahrgangs den Kalk des Schulzimmers von ihren Schultern geschüttelt, lernen sie auch schon, die hintersten Bankreihen des Hörsaals zu bevölkern, damit sie unauffällig ihren Abgang nehmen können, sollte sich das Vortragsthema als reizlos erweisen. Miles und Barefoot jedoch besetzten stets die vorderen Reihen, wo sie auf alle Fragen antworteten, eifrigst Notizen machten und allgemein den Eindruck erzeugten, sie seien — auf geistigem Gebiet — ein Paar junger Mozarts. Am Ende des ersten Jahrs gewann Miles den ersten Preis in Biologie, Charlie Barefoot erhielt die Auszeichnung proxime accessit.
Die Beförderung vom medizinischen Kindergarten zu den Anatomiesälen ersparte ihnen weitere Katzenhaie. Nun teilten sie sich in dasselbe Bein.
«Miles, ich hab eine phänomenale Nachricht für dich», empfing Barefoot eines Morgens meinen Cousin. «In meiner Bude wird was frei. Tony Benskin will nicht mehr bleiben. Weiß nicht warum, aber neulich wurde er richtig zornig, als ich während des Frühstücks über die Kniekehle diskutieren wollte. Wenn du vielleicht an einen Quartierwechsel denkst —»
«Noch heut abend kündige ich meiner Hauswirtin», antwortete Miles unverzüglich. «Meine Behausung ist wirklich für ein abendliches Studium äußerst ungeeignet. Vom Lärm der Paddington Station ganz abgesehen, wohnen in meiner Etage ein paar Damen, die sich eines geradezu schauerlichen Besucherzuspruchs erfreuen.»
«In Muswell Hill wirst du's viel gemütlicher haben. Mrs. Capper läßt uns in der guten Stube sitzen und abends Kakao kochen, solange wir wollen.»
Miles zog mit Büchern und Knochen von einem Ende Londons ans andere, und von nun an paukte das Paar einträchtig allnächtlich von Montag bis Freitag am Tisch von Mrs. Cappers guter Stube. An Samstagen unternahmen sie lange Spaziergänge ins Grüne und nachtmahlten bei Lyons. Zum gegebenen Zeitpunkt gewann Miles die Goldene Medaille in Anatomie, abermals von Barefoot knapp auf den Fersen gefolgt.
Zu dem Termin, da ich selbst den verdammten Katzenhai abgeschüttelt hatte, arbeiteten Miles und Barefoot bereits in den Krankensälen St. Swithins. Im Widerspruch zu der feststehenden Meinung von Spitalsinsassen werden Medizinstudenten auf lebende Patienten erst losgelassen, nachdem sie etliche Jahre lang tote zerschnitten haben, und das ist ein recht harter Übergang. Ich habe so manche junge Leuchte der Anatomie hilflos zwischen schmutzigen Verbänden und Speischüsseln umhertappen gesehen, und man sagt, die besten Chirurgen waren in Anatomie ebenso hoffnungslose Fälle wie die besten Richter in der Rechtskunde. Aber selbst Sir Lancelot Spratt räumte ein, daß es nur eine Zeitfrage sei, bis Miles den Universitätspreis in Chirurgie gewann; Barefoot keuchte wie gewöhnlich als Zweiter durchs Ziel.
Doch dann lähmte ein ganz ungewöhnlicher Zwischenfall das Teilnehmerpaar an der akademischen Steeplechase.
Ich selbst stellte bei Beginn meiner Spitalsarbeit fest, daß die schwierigste Aufgabe im Krankensaal — hat man einmal gelernt, die komischen Töne im Stethoskop auseinanderzuhalten — nicht darin besteht, eine Diagnose zu stellen, sondern ein Bett zu machen. Spitalsschwestem nehmen Studenten gegenüber eine ähnliche Haltung ein wie Landwirte gegenüber unvermeidlichen Schädlingen. Sie bestehen darauf, daß sämtliche Bettdecken in Ordnung gehalten werden, die Ecke mit dem Spitalsmonogramm deutlich sichtbar, und dies überstieg vollkommen Miles' Kräfte. Wenn er einen Patienten untersucht hatte, hinterließ er ihn wie einen Endkämpfer in einem Sackrennen.
Nachdem Miles eines Abends einen besonders komplizierten Fall von Milzschwellung untersucht hatte, rang er damit, die Decke am Fußende des Bettes einzuschlagen, ohne seine Krawatte hineinzuwickeln, als hinter ihm eine sanfte Stimme sich folgendermaßen vernehmen ließ: «Würden Sie dies mir überlassen? Vielleicht ist es am Ende für uns beide vorteilhafter.»
Eine kleine blonde Hilfsschwester lächelte
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