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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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abend wieder fastest … Geh und setz dir einen Hut auf, wir gehen zusammen aus.«
    Sie sah ihn an und wartete auf eine Erklärung.
    »Ja, da man uns Geld schuldet und man es euch nicht hat geben wollen, werde ich jetzt losgehen und sehen, ob man es mir auch verweigert.«
    Seine Hände zitterten; der Gedanke, sich nach so vielen Jahren auf diese Weise bezahlen zu lassen, mußte ihn furchtbare Überwindung kosten; doch er bemühte sich zu lächeln, er heuchelte große Tapferkeit. Und sie, die an seiner unsicheren Stimme die Größe seines Opfers erkannte, wurde von heftiger Rührung ergriffen.
    »Nein, nein, Meister! Geh nicht, wenn es dich zuviel Überwindung kostet … Martine könnte es ja noch einmal versuchen.«
    Aber das Dienstmädchen, das dabeistand, stimmte dem Herrn Doktor energisch zu.
    »Ja, warum sollte denn der Herr Doktor nicht gehen? Man braucht sich niemals zu schämen, wenn man fordert, was die andern einem schulden … Nicht wahr? Jeder muß das Seine tun … Ich finde es sehr gut, daß der Herr Doktor endlich einmal zeigt, daß er ein Mann ist.«
    Ebenso wie einst in den Stunden der Glückseligkeit schritt nun der alte König David, wie sich Pascal zuweilen nannte, am Arme Abisags dahin. Sie gingen beide noch nicht in Lumpen, er trug noch immer seinen korrekt zugeknöpften Gehrock, während sie ihr hübsches rotgepunktetes Leinenkleid anhatte; doch das Gefühl ihres Elends drückte sie ohne Zweifel nieder, ließ sie glauben, daß sie nur noch zwei arme Schlucker waren, die wenig Platz einnahmen und sich bescheiden an den Häusern entlangdrückten. Die sonnigen Straßen waren fast menschenleer. Etliche Blicke brachten sie in Verlegenheit, doch ihnen war so schmerzlich beklommen ums Herz, daß sie den Schritt nicht beschleunigten.
    Pascal wollte bei einem ehemaligen Beamten beginnen, den er wegen eines Nierenleidens behandelt hatte. Er ließ Clotilde auf einer Bank des Cours Sauvaire zurück und ging in das Haus. Doch er war sehr erleichtert, als der Beamte, seiner Forderung zuvorkommend, ihm erklärte, daß er im Oktober seine Pension bekomme und ihn dann bezahlen werde. Anders war es bei einer alten Dame, einer siebzigjährigen gelähmten Frau; sie war beleidigt, daß man ihr die Rechnung durch eine Magd zugeschickt hatte, die obendrein noch unhöflich war; Pascal entschuldigte sich eiligst bei ihr und ließ ihr so viel Zeit, wie sie wünschte. Dann stieg er die drei Treppen zu einem Steuerangestellten hinauf, den er noch leidend fand und der ebenso arm war wie er, so daß er seine Forderung nicht einmal auszusprechen wagte. Dann kamen eine Kurzwarenhändlerin, die Frau eines Advokaten, ein Ölhändler, ein Bäcker an die Reihe, alles wohlhabende Leute; und alle wußten sich der Bezahlung zu entziehen, die einen unter irgendeinem Vorwand, die
    anderen, indem sie ihn nicht empfingen. Einer tat gar so, als begriffe er nicht. So blieb nur noch die Marquise de Valqueyras übrig, die einzige Repräsentantin einer sehr alten Familie, die als Witwe mit ihrem zehnjährigen Töchterchen lebte, sehr reich war und ob ihres Geizes berüchtigt. Er hatte sie sich bis zuletzt aufgehoben, denn ihm graute vor ihr. Schließlich läutete er an ihrem alten herrschaftlichen Hause am Ende des Cours Sauvaire, einem monumentalen Bauwerk aus der Zeit Mazarins28. Und er blieb so lange, daß Clotilde, die unter den Bäumen spazierenging, besorgt wurde.
    Als er endlich nach einer guten halben Stunde wiederkam, scherzte sie erleichtert.
    »Na? Sie hatte wohl kein Geld?«
    Auch bei der Marquise hatte er nichts bekommen. Sie hatte sich über ihre Pächter beklagt, die ihre Pacht nicht mehr zahlten.
    »Denk dir nur«, fuhr er fort, um sein langes Ausbleiben zu erklären, »das kleine Mädchen ist krank. Ich fürchte, es ist eine beginnende Schleimhautentzündung … Sie hat mir das Kind zeigen wollen, und ich habe die arme Kleine untersucht …«
    Unwillkürlich umspielte ein Lächeln Clotildes Lippen.
    »Und du hast es umsonst getan?«
    »Natürlich, konnte ich denn anders?«
    Bewegt hatte sie wieder seinen Arm genommen, und er fühlte, wie sie ihn fest an ihr Herz drückte. Einen Augenblick gingen sie aufs Geratewohl dahin. Es war vorbei, es blieb ihnen nichts übrig, als mit leeren Händen nach Hause zurückzukehren. Aber er weigerte sich und wollte unbedingt etwas anderes für sie als die Kartoffeln und das Wasser, die sie erwarteten. Als sie den Cours Sauvaire wieder hinaufgegangen waren, wandten sie sich nach links zur

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