Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
sie beunruhigt war.
    »Nein, es ist nichts, glaub mir. Ohne den Mistral hätte ich sogar gut geschlafen … Nicht wahr, Martine? Ich sagte es Euch gerade.«
    Das Dienstmädchen stimmte ihm mit einem Kopfnicken zu. Und auch Clotilde gab nach, schrie ihm nicht ins Gesicht, wie sehr sie in dieser Nacht gekämpft und gelitten hatte, während er in Todesqualen lag. Die beiden fügsamen Frauen taten nichts anderes mehr, als ihm zu gehorchen und ihm in seiner Selbstverleugnung zu helfen.
    »Warte«, sagte er und öffnete seinen Sekretär. »Ich habe da etwas für dich … Schau her, in diesem Umschlag sind siebenhundert Francs …«
    Und obgleich sie protestierte und sich sträubte, legte er vor ihr Rechnung ab. Von den sechstausend Francs, die sie für die Schmuckstücke bekommen hatte, waren kaum zweihundert ausgegeben, und er behielt hundert davon; mit der strengen Sparsamkeit und dem finsteren Geiz, den er nunmehr an den Tag legte, wollte er damit bis zum Ende des Monats auskommen. Dann würde er sicher die Souleiade verkaufen, würde arbeiten und sich schon aus der Affäre zu ziehen wissen. Aber er wollte nicht an die fünftausend Francs rühren, die übrigblieben, denn die waren ihr Eigentum, das würde sie in dem Schubfach wiederfinden.
    »Meister, Meister, du bereitest mir großen Kummer …«
    Er unterbrach sie.
    »Ich will es so, und nun mach mir nicht das Herz schwer … Es ist jetzt halb acht, ich gehe deine Koffer verschnüren, denn sie sind ja schon zugemacht.«
    Als Clotilde und Martine allein waren und sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden, sahen sie sich einen Augenblick schweigend an. Seit die neue Situation bestand, hatten sie sehr wohl ihre heimliche Gegnerschaft im Werben um die Gunst des angebeteten Herrn gespürt, den klaren Triumph der jungen Herrin, die versteckte Eifersucht des alten Dienstmädchens. Heute schien es so, als bliebe Martine siegreich. Doch in dieser letzten Minute brachten die gemeinsamen Gefühle sie einander nahe.
    »Martine, du darfst nicht zulassen, daß er sich wie ein Armer ernährt. Versprichst du mir, daß er alle Tage Wein und Fleisch bekommt?«
    »Haben Sie keine Angst, Mademoiselle.«
    »Und weißt du, die fünftausend Francs, die dort schlummern, gehören ihm. Ihr braucht also nicht Hungers zu sterben, denke ich. Ich möchte, daß du ihn verwöhnst.«
    »Ja, ganz bestimmt, ich werde dafür sorgen, Mademoiselle, es soll dem Herrn Doktor an nichts fehlen.«
    Von neuem trat Schweigen ein. Sie sahen sich immer noch an.
    »Und paß auf ihn auf, daß er nicht zuviel arbeitet. Ich gehe in großer Sorge fort, seine Gesundheit ist seit einiger Zeit nicht mehr so gut. Du wirst ihn pflegen, nicht wahr?«
    »Ich werde ihn schon pflegen, seien Sie unbesorgt, Mademoiselle.«
    »Ich vertraue ihn dir also an. Er wird nur noch dich haben, und es beruhigt mich ein wenig, daß du ihn liebhast. Liebe ihn mit all deiner Kraft, liebe ihn für uns beide.«
    »Ja, Mademoiselle, sosehr ich kann.«
    Tränen stiegen ihnen in die Augen, und Clotilde sagte noch:
    »Willst du mich umarmen, Martine?«
    »Oh, Mademoiselle, sehr gern!«
    Sie lagen einander in den Armen, als Pascal wieder ins Zimmer trat. Er tat, als sähe er sie nicht, sicherlich um nicht weich zu werden. Mit allzu lauter Stimme sprach er von den letzten Reisevorbereitungen, wie jemand, der es eilig hat und den Zug nicht versäumen will. Er hatte die Koffer verschnürt, Vater Durien fuhr sie auf seinem Wagen zum Bahnhof, wo man sie in Empfang nehmen würde. Indessen war es kaum acht Uhr, man hatte noch zwei Stunden vor sich. Es waren zwei tödliche Stunden nutzloser Quälerei, ruhelosen Hin und Hergehens, da der bittere Gedanke an die Trennung sie unablässig marterte. Das Frühstück dauerte kaum eine Viertelstunde; dann mußte man aufstehen, sich wieder setzen. Die Augen ließen nicht von der Stutzuhr. Die Minuten schienen ewig wie ein Todeskampf in dem trostlosen Haus.
    »Ach, was für ein Wind!« sagte Clotilde, als bei einem neuen Ansturm des Mistrals alle Türen ächzten.
    Pascal trat ans Fenster, betrachtete die verzweifelte Flucht der Bäume vor dem Sturm.
    »Seit heute morgen ist er noch stärker geworden. Nachher muß ich mich um das Dach kümmern, denn es sind einige Ziegel weggeflogen.«
    Schon waren sie nicht mehr zusammen. Sie hörten nur noch diesen wütenden Sturm, der alles hinwegfegte und auch ihr Leben davontrug.
    Um halb neun endlich sagte Pascal nur:
    »Es ist Zeit, Clotilde.«
    Sie erhob sich von dem

Weitere Kostenlose Bücher