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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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also, daß es ein gutes Werk wäre, sie zu vernichten, ein Werk, das dem Herrn Doktor das Seelenheil sichern würde?«
    »Großer Gott! Und ob ich das glaube! Wenn wir ihn nur hätten, diesen greulichen Papierkram, dann würde ich ihn in dieses Feuer werfen! Ach! Ihr brauchtet kein Rebholz mehr dazuzulegen, allein mit den Manuskripten von da oben könnten wir drei Hühnchen wie das da braten.«
    Martine hatte einen langen Löffel genommen, um das Tier zu begießen. Auch sie schien jetzt nachzudenken.
    »Wir haben sie bloß nicht … Ich habe da aber ein Gespräch mit angehört, das ich Madame ja ruhig wiedererzählen kann … Das war, als Fräulein Clotilde in das Zimmer hinaufgegangen ist. Doktor Ramond hat sie gefragt, ob sie sich an die Aufträge erinnert, die sie bekommen hat, sicherlich vor ihrer Abreise; und sie hat gesagt, sie erinnert sich, sie soll die Akten aufbewahren und ihm alle anderen Manuskripte geben.«
    Félicité bebte und vermochte eine Gebärde der Unruhe nicht zu unterdrücken. Schon sah sie, wie ihr die Papiere entglitten; und sie wollte nicht allein die Akten haben, sondern alle beschriebenen Seiten, dieses ganze verdächtige und geheimnisvolle unbekannte Werk, das nur Skandal erregen konnte, wie sie in ihrer Beschränktheit und in ihrem Fanatismus einer dünkelhaften alten Dame aus dem Bürgertum glaubte.
    »Wir müssen handeln!« rief sie. »Und zwar noch in dieser Nacht! Morgen ist es vielleicht schon zu spät.«
    »Ich weiß, wo der Schlüssel ist«, sagte Martine halblaut. »Der Doktor hat es zu dem Fräulein gesagt.«
    Sogleich spitzte Félicité die Ohren.
    »Der Schlüssel? Wo ist er denn?«
    »Unter dem Kopfkissen, unter dem Kopf vom Herrn Doktor.«
    Trotz des hell lodernden Rebholzfeuers strich ein leichter eisiger Hauch vorüber, und die beiden alten Frauen schwiegen. Man hörte nur noch das Zischen des Fleischsaftes, der von dem Braten in die Pfanne tropfte.
    Nachdem Frau Rougon allein und in Eile gegessen hatte, ging sie mit Martine wieder hinauf. Ohne daß sie weiter miteinander gesprochen hätten, war jetzt das Einverständnis hergestellt; es war beschlossene Sache, daß sie sich auf jede nur mögliche Art und Weise noch vor Tagesanbruch der Papiere bemächtigen würden. Das Einfachste war noch, den Schlüssel unter dem Kopfkissen hervorzuholen. Clotilde würde schließlich einschlafen: sie schien gar zu erschöpft, die Müdigkeit würde sie überwältigen. Sie brauchten nur zu warten. Sie behielten also Clotilde im Auge, schlichen zwischen Arbeitszimmer und Schlafzimmer hin und her, immer auf der Lauer, ob sich die weit geöffneten, starren großen Augen der jungen Frau nicht endlich schlossen. Während die eine nachsehen ging, wartete die andere voll Ungeduld in dem großen Arbeitszimmer, in dem eine Lampe blakte. Das ging so Viertelstunde um Viertelstunde, bis gegen Mitternacht. Die unergründlichen Augen voller Dunkel und unendlicher Verzweiflung blieben weit geöffnet. Kurz vor Mitternacht ließ sich Félicité wieder in einem Sessel zu Füßen des Bettes nieder, entschlossen, nicht von der Stelle zu weichen, solange ihre Enkelin nicht schlief. Sie wandte keinen Blick von ihr und bemerkte zu ihrem Ärger, daß Clotilde kaum die Lider bewegte in jener trostlosen Starrheit, die dem Schlaf Trotz bot. Dann fühlte sie sich bei diesem Spiel von Schläfrigkeit übermannt. Sie war außer sich und brachte es nicht fertig, länger zu warten. Sie ging wieder zu Martine zurück.
    »Es hat keinen Sinn, sie schläft einfach nicht ein!« sagte sie mit erstickter, zitternder Stimme. »Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen.«
    Ihr war sehr wohl schon der Gedanke gekommen, den Schrank aufzubrechen. Aber die alten Eichenholztüren schienen unerschütterlich, die alten Eisenbeschläge gaben nicht nach. Womit sollte man das Schloß aufbrechen? Außerdem würde das einen fürchterlichen Lärm machen, der ganz sicher vom Nebenzimmer aus zu hören wäre.
    Félicité pflanzte sich vor den dicken Türen auf, tastete sie mit den Fingern ab und suchte die schwachen Stellen.
    »Wenn ich ein Werkzeug hätte …«
    Martine, die weniger leidenschaftlich war, fiel ihr ins Wort und widersprach energisch.
    »O nein, nein, Madame! Man würde uns überraschen! Warten Sie, vielleicht schläft das Fräulein.«
    Sie ging auf Zehenspitzen in das Schlafzimmer und kam sogleich zurück.
    »Ja, sie schläft! Sie hat die Augen zu und rührt sich nicht mehr.«
    Jetzt gingen sie beide hinüber, um nach ihr zu

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