Doktor Pascal - 20
denn ich schenke mich dir!«
Es war kein Sündenfall, das glorreiche Leben hob sie empor, in überströmender Freude gehörten sie einander an. Das große, mitverschworene Zimmer mit seinen alten Möbeln war darob wie von Licht erfüllt. Es gab weder Furcht noch Leiden noch Bedenken mehr: sie waren frei, Clotilde gab sich hin, wissend und wollend, was sie tat, und Pascal empfing das erhabene Geschenk ihres Körpers gleich einem unschätzbaren Gut, das er durch die Kraft seiner Liebe errungen hatte. Ort, Zeit und Alter waren versunken. Es blieb nichts als die unsterbliche Natur, die Leidenschaft, die besitzt und erschafft, das Glück, das leben will. Sie war beseligt, schrie nur leise auf beim Verlust ihrer Jungfräulichkeit; und er umschlang sie ganz in einem Aufschluchzen des Entzückens, dankte ihr, ohne daß sie es zu begreifen vermochte, daß sie ihn wieder zum Manne gemacht hatte.
Pascal und Clotilde hielten einander umschlungen, in Ekstase versunken, göttlich beglückt und triumphierend. Die Nacht war mild, die Stille atmete sanften Frieden, Stunde um Stunde floß dahin im beseligten Genuß ihrer Freude. Mit zärtlicher Stimme flüsterte sie ihm ungezählte Worte ins Ohr:
»Meister, oh, Meister, Meister …«
Und dieses Wort, das sie früher aus Gewohnheit gesagt hatte, nahm in dieser Stunde eine tiefe Bedeutung an, wurde umfassender und größer, als brächte es das ganze Geschenk ihres Seins zum Ausdruck. Sie wiederholte es mit dankerfüllter Inbrunst als Frau, die wissend ward und sich ergab. War nicht die Mystik besiegt, die Wirklichkeit gutgeheißen, das Leben verherrlicht, da sie nun endlich die Liebe erkannte und durch sie Erfüllung fand?
»Meister, Meister, das kommt von weit her, ich muß dir alles sagen und dir beichten … Es ist wahr, daß ich in die Kirche ging, um glücklich zu sein. Das Unglück war, daß ich nicht glauben konnte: ich wollte allzuviel verstehen, meine Vernunft empörte sich gegen ihre Dogmen, ihr Paradies kam mir vor wie eine unwahrscheinliche Kinderei … Indessen glaubte ich, daß die Welt nicht bei dem sinnlich Wahrnehmbaren haltmacht, daß es eine ganze unbekannte Welt gibt, die man berücksichtigen muß; und das, Meister, glaube ich auch jetzt noch, das ist die Vorstellung vom Jenseits, die selbst das Glück, das ich endlich an deinem Herzen gefunden habe, nicht auslöschen wird … Aber dieses Verlangen nach dem Glück, dieses Bedürfnis, sogleich glücklich zu sein, eine Gewißheit zu haben – wie habe ich darunter gelitten! Wenn ich zur Kirche ging, dann deshalb, weil mir etwas fehlte und weil ich es suchte. Meine Angst erwuchs aus dem unwiderstehlichen Verlangen, meine Sehnsucht zu stillen … Du erinnerst dich an meinen ewigen Durst nach Illusion und Lüge, wie du es nanntest. Eines Nachts auf der Tenne, unter dem weiten Sternenhimmel, erinnerst du dich? Ich hatte ein Grauen vor deiner Wissenschaft, ich war zornig über die Trümmer, mit denen sie die Erde übersät, ich wandte die Augen ab von den schrecklichen Wunden, die sie bloßlegt. Und ich wollte dich in eine Einsamkeit entführen, Meister, in der wir beide unbekannt wären, fern der Welt, um in Gott zu leben … Ach, welche Qual, zu dürsten und sich abzumühen und keine Befriedigung zu finden!«
Sanft, ohne ein Wort, küßte er sie auf beide Augen.
»Dann, Meister, du erinnerst dich noch«, fuhr sie fort, und ihre Stimme war wie ein Hauch, »kam die große seelische Erschütterung in der Gewitternacht, als du deine Akten vor mir ausbreitetest und mir jene schreckliche Lektion über das Leben erteiltest. Du hattest mir vorher schon gesagt: ›Erkenne das Leben, liebe es, lebe es so, wie es gelebt werden muß.‹ Doch welch entsetzlicher, gewaltiger Strom rollt da in seiner ganzen Fülle auf ein menschliches Meer zu, das er unaufhörlich anschwellen läßt für die unbekannte Zukunft … Und siehst du, Meister, das heimliche Wirken in mir hat dort seinen Ausgang genommen. Aus diesem Erlebnis ist in meinem Herzen und in meinem Fleisch die bittere Kraft der Wirklichkeit entstanden. Zuerst war ich wie vernichtet, so hart war der Schlag. Ich fand mich nicht mehr zurecht, ich schwieg, weil ich nichts Klares zu sagen hatte. Dann hat sich nach und nach diese Entwicklung vollzogen, ich habe mich noch manchmal aufgelehnt, um meine Niederlage nicht einzugestehen … Doch mit jedem Tag wuchs die Wahrheit in mir, ich fühlte genau, daß du mein Meister warst, daß es ohne dich, ohne deine Wissenschaft und deine
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