Doktor Pascal - 20
Güte kein Glück gab. Du warst das Leben selber, das duldsame und umfassende Leben, weil du alles sagtest, alles bejahtest, einzig aus Liebe zur Gesundheit und zum ständigen Bemühen, weil du an das Werk der Welt glaubtest, den Sinn des Schicksals in dieser Arbeit sahst, die wir alle mit Leidenschaft vollbringen, indem wir beharrlich darauf aus sind, zu leben, zu lieben, immer wieder Leben zu schaffen, trotz unserer schändlichen Handlungen und unseres Elends … Oh, leben, leben! Das ist die große Aufgabe, das ununterbrochene Werk, das eines Tages gewiß vollendet sein wird!«
Schweigend lächelte er und küßte sie auf den Mund.
»Und wenn ich dich auch immer geliebt habe, Meister, schon seit meiner frühesten Jugend, so hast du mich doch erst in jener schrecklichen Nacht, glaube ich, gezeichnet und zu der Deinen gemacht … Du erinnerst dich, mit welch heftiger Umschlingung du mich fast ersticktest … Ich trug eine Verletzung davon, einige Blutstropfen an der Schulter. Ich war halb nackt, dein Körper war gleichsam eingedrungen in den meinen. Wir rangen miteinander, du warst der Stärkere, und seitdem fühle ich, daß ich eine Stütze brauche. Zuerst glaubte ich, du hättest mich gedemütigt, dann sah ich, daß es nur eine unendlich süße Unterwerfung war … Immer fühlte ich dich in mir. Wenn du nur von weitem eine Bewegung machtest, zitterte ich schon, denn mir schien, als hätte sie mich leicht berührt. Ich hätte gewünscht, von neuem von dir umschlungen und zermalmt zu werden, bis ich für immer in dir aufgegangen wäre. Und ich spürte, ich erriet, daß du dasselbe Verlangen hattest, daß das Ungestüm, das mich dir zu eigen gemacht hatte, auch dich mir zu eigen gemacht hatte, daß du kämpftest, um mich nicht im Vorbeigehen an dich zu reißen und mich festzuhalten … Schon als ich dich während deiner Krankheit pflegte, fand ich ein wenig Befriedigung. Von jenem Zeitpunkt an habe ich begriffen. Ich bin nicht mehr zur Kirche gegangen, ich fing an, in deiner Nähe glücklich zu sein, du wurdest die Gewißheit … Erinnere dich, ich hatte dir auf der Tenne zugerufen, daß in unserer Liebe etwas fehle. Sie war leer, und ich hatte das Verlangen, sie zu erfüllen. Was konnte uns fehlen, wenn nicht Gott, die Daseinsberechtigung der Welt? Und es war in der Tat die göttliche Macht, das vollkommene Inbesitznehmen, der Akt der Liebe und des Lebens.«
Sie stammelte nur noch, er strahlte über ihren gemeinsamen Sieg; und sie umfingen sich von neuem. Die ganze Nacht währte diese Glückseligkeit in dem von Jugend und Leidenschaft durchdufteten glückerfüllten Zimmer. Als der Morgen heraufdämmerte, öffneten sie weit die Fenster, damit der Frühling Einzug halten konnte. Die befruchtende Aprilsonne stieg an einem unendlich weiten, fleckenlos reinen Himmel empor, und die Erde, vom Keimen geschwellt, sang fröhlich das Hochzeitslied.
Kapitel VIII
Nun begann die Zeit des glücklichen Besitzergreifens, der glücklichen Idylle. Clotilde war die Wiedergeburt, die Pascal an seinem Lebensabend zuteil ward. Sie schüttete Sonne und Blumen aus ihrem Liebesgewand in Fülle über ihn aus; und diese Jugend schenkte sie ihm nach den dreißig Jahren seiner harten Arbeit, als er schon müde und abgekämpft war vom Hinabsteigen in das Grauen der menschlichen Wunden. Er blühte wieder auf unter ihren großen Augen, beim reinen Hauch ihres Atems. Noch einmal war es der Glaube an das Leben, an die Gesundheit, an die Kraft, an den ewigen Neubeginn.
An jenem ersten Morgen nach der Hochzeitsnacht verließ Clotilde als erste ihr Zimmer, es war schon fast zehn Uhr. Als sie das große Arbeitszimmer betrat, gewahrte sie sogleich Martine, die mit verstörter Miene wie angewurzelt dastand. Am Abend zuvor hatte der Doktor, als er dem jungen Mädchen folgte, seine Tür offenstehen lassen, und Martine, die ungehindert eingetreten war, hatte das Bett noch ganz unberührt vorgefunden. Dann hatte sie mit Verwunderung aus dem anderen Zimmer den Klang von Stimmen vernommen. Ihre Betroffenheit war so groß, daß sie fast komisch wirkte.
Und Clotilde stürzte heiter und glückstrahlend, in einem Ausbruch überströmender Freude, die alles mit sich fortriß, auf sie zu und rief:
»Martine, ich gehe nicht fort! Der Meister und ich, wir haben geheiratet.«
Unter diesem Schlag wankte die alte Magd. Ein herzzerreißender, entsetzlicher Schmerz ließ ihr von nonnenhafter Entsagung gezeichnetes armes Gesicht unter dem Weiß ihrer Haube
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