Doktor Pascal - 20
nein, o nein! Bitte nicht! Rühre nicht an mein altes Zimmer, das so voller Erinnerungen ist, in dem ich groß geworden bin, in dem wir uns geliebt haben. Es käme mir vor, als wären wir nicht mehr daheim.«
Im Hause verurteilte Martine mit ihrem hartnäckigen Schweigen diese übertriebenen und unnützen Ausgaben. Sie hatte eine weniger vertrauliche Haltung angenommen, als wäre sie seit der neuen Lage der Dinge aus ihrer Rolle einer befreundeten Haushälterin wieder in ihre frühere Stellung einer Dienstmagd zurückgesunken. Vor allem änderte sie ihr Verhalten Clotilde gegenüber, indem sie sie als junge Dame behandelte, als Herrin, die man weniger liebt, der man aber mehr gehorcht. Wenn sie das Schlafzimmer betrat, wenn sie ihnen das Frühstück ans Bett brachte, bewahrte ihr Gesicht den Ausdruck resignierter Ergebenheit, wobei sie ihrem Herrn gegenüber abgöttische Verehrung an den Tag legte, im übrigen aber gleichgültig blieb. Zwei oder dreimal jedoch erschien sie des Morgens mit verwüstetem Gesicht und verweinten Augen und wollte auf keine Frage Antwort geben, sondern behauptete, es wäre nichts, sie hätte nur Zug bekommen. Und niemals machte sie eine Bemerkung über die Geschenke, mit denen die Schubfächer sich füllten; sie schien sie nicht einmal zu sehen; sie säuberte sie, räumte sie weg, ohne ein Wort der Bewunderung oder des Tadels. Allein ihr ganzes Wesen empörte sich gegen diese Schenkwut, die ihr durchaus nicht in den Kopf wollte. Sie protestierte auf ihre Art, indem sie ihre Sparsamkeit auf die Spitze trieb, die Ausgaben für den Haushalt einschränkte und diesen so straff führte, daß sie es möglich machte, selbst von den geringsten Posten noch etwas abzuknapsen. So strich sie täglich ein Drittel Milch und trug nur noch am Sonntag ein süßes Zwischengericht auf. Pascal und Clotilde wagten nicht, sich zu beklagen, sondern lachten, wenn sie allein waren, über diesen großen Geiz und begannen wieder mit den Spötteleien, mit denen sie sich schon seit zehn Jahren vergnügten. Wenn Martine das Gemüse in Butter dünstet, erzählten sie sich, schwenkt sie es in einem Durchschlag, um die Butter darunter wieder aufzufangen.
Aber in diesem Vierteljahr wollte Martine abrechnen. Für gewöhnlich ging sie selber alle drei Monate zum Notar, Herrn Grandguillot, und nahm die fünfzehnhundert Francs Jahreszinsen in Empfang, über die sie dann nach ihrem Gutdünken verfügte. Sie trug die Ausgaben in ein Buch ein, das der Doktor seit Jahren nicht mehr nachgeprüft hatte; nun brachte sie es herbei und verlangte, er solle einen Blick hineinwerfen. Er wehrte ab und fand alles sehr gut.
»Es ist nur, weil ich diesmal etwas Geld beiseite legen konnte, Herr Doktor«, sagte sie. »Ja, dreihundert Francs … Hier sind sie.«
Er sah sie höchst erstaunt an. Sie kam gewöhnlich gerade so aus. Durch welches Wunder an Knauserei hatte sie eine solche Summe zurückbehalten können? Schließlich mußte er lachen.
»Ach, meine arme Martine, darum also haben wir soviel Kartoffeln gegessen! Ihr seid eine Perle an Sparsamkeit, aber wirklich, verwöhnt uns ruhig ein wenig mehr.«
Dieser versteckte Vorwurf verletzte sie so tief, daß sie sich endlich zu einer Anspielung verleiten ließ.
»Nun ja, Herr Doktor, wenn man auf der einen Seite soviel Geld zum Fenster rausschmeißt, tut man gut daran, auf der anderen Seite ein wenig vernünftig zu sein.«
Er begriff, wurde jedoch nicht böse, sondern amüsierte sich über diese Lektion.
»Aha! Ihr wollt meine Ausgaben unter die Lupe nehmen! Aber Ihr wißt doch, Martine, auch ich habe erspartes Geld zu liegen.«
Er sprach von dem Geld, das seine Patienten ihm manchmal noch gaben und das er in einem Schubfach seines Sekretärs verschwinden ließ. Seit mehr als sechzehn Jahren legte er auf diese Weise jährlich fast viertausend Francs dort hinein, was schließlich einen wahrhaften kleinen Schatz von Goldstücken und Geldscheinen in buntem Durcheinander abgegeben hätte, wenn er nicht unbekümmert, ohne nachzurechnen, für seine Versuche und seine plötzlichen Einfälle ziemlich große Summen daraus entnommen hätte. Das ganze Geld für die Geschenke kam aus diesem Schubfach, er öffnete es jetzt unentwegt. Im übrigen hielt er es für unerschöpflich und war so daran gewöhnt, zu nehmen, was er brauchte, daß ihn nie die Furcht anwandelte, das Schubfach könnte eines Tages leer sein.
»Man darf sich schon ein wenig seiner Ersparnisse freuen«, fuhr er fröhlich fort.
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