Doktor Proktor im Goldrausch
schlicht und ergreifend zu schön, um wahr zu sein. Wahrscheinlich spielte sie auch gerne Halma, ha, ha, träum weiter.
»Come on, let’s make some cocoa«, sagte sie und reichte ihm die blasseste Hand, die Petter je gesehen hatte. Sie war so blass, dass sie fast durchsichtig war, trotzdem war es eine richtige Hand. Keine Luftspiegelung. Und er hielt sie. Und eigentlich hatte er gar keine Lust, sie so schnell wieder loszulassen, merkte er. Ein lustiger Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Vielleicht war das die gelungenste misslungene Landung in seinem bisherigen Hängegleiter-Leben.
So schlenderten die beiden zusammen über den Acker zu dem Gebäude auf dem Hügel mit den verrosteten Hillman-Autos. Währenddessen dachte Petter, dass Bulle wahrscheinlich mal wieder maßlos übertrieben hatte. Das Abholen an der blöden Turmuhr in London konnte unmöglich so lebenswichtig sein wie das hier.
Ich sterbe, dachte Bulle, und das wegen englischem Mistwetter und einem übergewichtigen Süd-Trønder.
Er versuchte, sich vorzubeugen, aber seine Hände und Füße waren zu fest an den Stuhl gefesselt, auf dem er saß.
Der Grund dafür, warum Bulle so fest davon überzeugt war, sterben zu müssen, war einfach: Der kleine Mann, der vor ihm stand, hatte das gerade eben gesagt. »Du musst sterben«, und er hatte dabei ziemlich überzeugend geklungen.
Bulle starrte in ein bekanntes Gesicht. Bekannt deshalb, weil er eine Maske davon besaß. Gewölbte Stirn, hoher Haaransatz, schmale, peinlich akkurat rasierte Augenbrauen und Spitzbart. Maximus Rublov höchstpersönlich.
Und hinter ihm, aufgereiht auf dem Sofa im Halbdunkel des Wohnzimmers der Familie Crunch, saßen die Brüder Crunch, die ihn mit kalten, anklagenden Blicken anstarrten. Daneben, mit vor der Brust verschränkten Armen, saß die Frau mit dem Namen, den man sich nicht einmal zu flüstern traute.
»Sterben hin oder her«, sagte Bulle. »Wenn ihr mich lieber tot als lebendig haben wollt, wieso habt ihr mich dann vom Big Ben runtergeholt? Noch zwei Sekunden und ich hätte mich nicht mehr halten können. Euch wäre dann der ganze Kram mit Umbringen und so weiter erspart geblieben, mir diese Stricke, und euch wiederum die aufwendige Fesselei und…«
»Ruhe!« Rublov brüllte so laut, dass die Verdunkelungsgardinen zu flattern begannen. »Meine Wachen haben dich aus zwei simplen Gründen gerettet, du Sommersprossenzwerg! Erstens, weil du einen Goldbarren in deinem Rucksack hattest. Und zweitens, weil du mir, bevor du stirbst, verraten sollst, wer außer dir noch an dem Einbruch beteiligt war.«
»Wer außer mir?«, sagte Bulle und lachte so höhnisch, wie er es hinbekam. »Ich traue keinem anderen Schurken außer mir, Herr Rublov. Ich arbeite alleine.«
Rublov verschränkte die Arme und legte einen behandschuhten Finger an die Lippen. »Bist du auch ganz sicher, dass du ein Schurke bist, Herr Schörlo? Falls das überhaupt dein richtiger Name ist. Oder arbeitest du vielleicht doch eher für Scotland Yard? Oder den Noch Geheimeren Geheimdienst Ihrer Königlichen Hoheit?«
»Für die Polizei?«, sagte Bulle und fing so laut zu lachen an, dass seine Zahnfüllungen klapperten. »Das wäre ja mal stark, wenn ein Superschurke…«
»Ruhe! Sterben musst du so oder so, aber es liegt bei dir, ob das einigermaßen schmerzfrei abläuft oder …«, Rublov grinste hinterhältig, »…durch Knochenpoker.«
Bulle schluckte und war starr vor Schreck. Er würde als Parmesanraspel enden, wenn er nicht auspackte! Hätte er doch bloß noch seinen Holzhackerschuh an! Aber den hatten sie ihm als Erstes ausgezogen, nachdem sie ihn geschnappt hatten. Jetzt lag er mit dem Zielhandschuh, den Dartpfeilen und dem Rest von Doktor Proktors Frostmittel auf dem Couchtisch.
Rublov baute sich ganz nah vor seinem Stuhl auf und senkte die Stimme: »Oder solltest du das Gold etwa für jemanden klauen, der mir Ibranaldovez vor der Nase wegschnappen will? Das kannst du vergessen, du Knalltüte. Um fünf Uhr heute Nachmittag ist der Kauf nämlich in trockenen Tüchern. Das Gold ist vor einer Stunde aus dem Tresorraum geholt worden. Du kannst also ruhig aufgeben und mir alles erzählen.«
»Dann hatte Lise tatsächlich recht«, sagte Bulle. »Sie brauchen das ganze Gold, um den besten Fußballer der Welt für das Pokalendspiel am Samstag einzukaufen.«
»Ich weiß nicht, wer diese Lise ist, aber sagen wir mal so«, meinte Rublov und grinste so breit, dass seine spuckefeuchten, spitzen Zähne
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