Doktor Proktor verhindert den Weltuntergang
wollen nur Tenoresen hören, sonst niemanden«, seufzte Lise.
»Nein, ich meine einen anderen«, sagte Doktor Proktor.
»Ich glaube, ich weiß, an wen Sie denken«, sagte Frau Strobe mit einem langsamen Nicken.
»An wen, an wen?«, rief Bulle.
Frau Strobe nickte in Richtung Schloss. »Erinnert ihr euch noch an die Geschichtsstunde, als ich euch erzählt habe, auf wen die Norweger im Zweiten Weltkrieg gehört haben?«
»Den König«, sagte Lise.
»Korrekt«, sagte Doktor Proktor. »Wir müssen nach Süd-Trøndelag fahren und den König überzeugen, sich selbst zu überzeugen, nicht mehr auf Jodolf zu hören!« Doktor Proktor schnupperte. »Und wir sollten uns beeilen!«
Lise schnupperte auch. Vielleicht bildete sie es sich ja nur ein, aber sie hatte das Gefühl, dass es nach Waffeln duftete.
»Und beeilen bedeutet«, sagte Doktor Proktor, »dass wir das MMB zum Einsatz bringen werden.«
»Das MMB?«, sagte Frau Strobe. »Ist das nicht so ein …«
»Motorrad mit Beiwagen«, übersetzte Doktor Proktor. »Wir brechen sofort nach Süd-Trøndelag auf.«
»Aber«, gab Frau Strobe zu bedenken, »ein Motorrad mit Beiwagen ist zu klein für uns alle.«
»Sie haben den Beiwagen noch nicht gesehen, Frau Strobe«, sagte Doktor Proktor. »Kommt!«
Kapitel 18
Beiwagen und Schlepper
Erst als Lise, Bulle, Doktor Proktor und Frau Strobe zwanzig Minuten lang die Schneeberge in Doktor Proktors Garten beiseitegeschaufelt hatten, kam ein Motorradlenker zum Vorschein.
»Das reicht«, sagte Doktor Proktor und begann, ein Loch in die Schneewand zu graben, in dem er alsbald verschwunden war. Es wurde still, abgesehen von einem leisen Hicken unter Bulles Mütze. Drei Minuten später knallte es einmal in der Schneewehe, dann noch einmal und schließlich quoll Rauch aus dem Loch. Nach ein paar weiteren Knallern, aus denen irgendwann ein gurgelndes Motorenbrummen wurde, schoss schließlich ein lärmendes Motorrad aus dem Schnee, wie es die Welt noch nicht gehört hatte, an dem der größte und schönste Beiwagen hing, den man sich vorstellen konnte. Er war rund wie ein aufgeschnittenes Ei, gelb lackiert und hatte zahlreiche Verzierungen und Ornamente. Innen standen zehn rote Plüschsessel, auf denen ein kleines Orchester Platz gefunden hätte.
»Großer Gott«, rief Frau Strobe durch den Lärm. »Was ist denn das?«
»Eine Theaterloge«, rief Dokter Proktor stolz. »Die habe ich gekauft, als sie das Goethe-Volkstheater in Leipzig abreißen wollten. Die Sessel waren im Preis inbegriffen.«
»Das ist ja … das ist ja so groß wie ein Orchestergraben!«, rief Frau Strobe. »Aber was für ein Lärm!«
»Das ist doch kein Lärm«, sagte Bulle und schmatzte hingerissen mit geschlossenen Augen. »Das ist perfektes A-Dur. Wirklich eine musikalische Maschine.«
»Ostdeutscher Motor, mexikanische Karosserie!«, rief Doktor Proktor durch das hektische Gekakel der beiden Zylinder. Er holte eine Handvoll Schwimmbrillen aus der Seitentasche hervor. »Zieht die auf und steigt ein!«
»Ich sitze schon«, rief Bulle, der bereits Platz genommen hatte.
Als alle auf ihren Plätzen waren und die Schwimmbrillen aufgesetzt hatten, durch die die Welt ein bisschen gelber, blauer und röter aussah, gab Doktor Proktor Gas, und sie sausten eine Wolke aus Schnee hinter sich herziehend davon.
Jemand schrie: »Jippijajei!«
Ihr wisst schon, wer.
Sie fuhren und fuhren, und nachdem sie Orte wie Hamar, Elverum und Koppang passiert hatten, tauchte irgendwann ganz unvermittelt ein Schild mit der Aufschrift »Zoll« auf.
»Das heißt, dass wir uns dem Grenzübergang nach Süd-Trøndelag nähern«, rief Proktor und drehte sich zu den anderen um, die die Arme um den Oberkörper geschlungen auf ihren Plüschsesseln saßen und dreistimmig sangen, um sich warm zu halten.
»Stopp!«, rief Lise und streckte einen Arm aus.
Und ganz richtig: Vor ihnen ragten zwei Schilder in die Höhe, auf denen genau das stand: STOPP. Gehalten wurden sie von zwei uniformierten Männern. Der eine hatte einen kräftigen Unterbiss und schwarze, lockige Haare, die unter seiner Uniformmütze hervorquollen, der andere hatte einen roten Bart, ein rundes Gesicht mit hervorquellenden Dorschaugen und ziemlich genau vier lange Haarlocken, die er sich zu einem S in die Stirn gekämmt hatte.
»Sind das Süd-Trønder?«, flüsterte Lise.
»Sie tragen norwegische Uniformen, vermutlich sind es Trønder von dieser Seite der Grenze, also norwegische Trønder«, sagte Doktor Proktor.
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