Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Proktors Pupspulver

Doktor Proktors Pupspulver

Titel: Doktor Proktors Pupspulver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
Abbildung auf Seite 121 von »TIERE, DENEN DU NIE BEGEGNEN MÖCHTEST«. Genauer gesagt, im Maul der größten und schrecklichsten Würgeschlange der Welt, der Anakonda.
    Es war schon lange her, dass Bulle in dem alten, dicken Buch seines Großvaters das Kapitel über Anakondas gelesen hatte, doch stand ihm jetzt jedes einzelne verstaubte Wort klar vor Augen. Und Bulle begriff, dass es für ihn sehr, sehr schlecht aussah. Erstens stand er bis zu den Hüften im Lieblingselement der Anakonda: im Wasser.

    Zweitens war er im gesamten Osloer Abwassersystem momentan das allersichtbarste Wesen, ein durchsichtiger grün leuchtender Junge. Und drittens, selbst wenn er kein lecker grünlich leuchtender Köder gewesen wäre, so hätte es doch keinen Ort gegeben, um sich zu verstecken.
    Also blieb er stehen. Und da, da war das Fauchen wieder. Und jetzt kamen die Zähne wieder ins Licht. Sie saßen in dem größten Maul, das er jemals gesehen hatte. Zu beiden Seiten des weit aufgerissenen Mauls starrten ihn böse Anakonda-Augen an und mitten in dem Maul züngelte eine blutrote Anakonda-Zunge. Und Bulle musste zugeben, dass nicht einmal das schreckliche Foto auf Seite 121 dem Ungeheuer gerecht wurde. Denn es war noch viel, viel hässlicher und unheimlicher.
    Unbarmherzig kroch das Maul auf ihn zu.
    Und jetzt, wo Bulle möglicherweise gefressen wird, hoffst du vielleicht, dass in der allerletzten Sekunde etwas passieren wird, etwas ganz und gar Unwahrscheinliches, etwas, das nie passiert außer vielleicht in einer Geschichte genau in dem Moment, wo es dem Helden an den Kragen geht. Aber so etwas passiert jetzt nicht. Es passiert nur eins: Bulle, zehn Jahre alt und momentan selbstleuchtend, wird von einer Anakonda gefressen. Und das ausgerechnet zwei Tage vor dem 17. Mai.
    Der runde Mond versteckte sich hinter einer Wolke, als könne er nicht mit ansehen, was in der Kanonenstraße vorging.
    Am Zaun zu Doktor Proktors Grundstück standen Truls und Trym.
    »Einbrechen macht Laune«, flüsterte Trus.
    »Einbrechen macht Laune«, flüsterte Trym.
    Doch obwohl sie flüsterten, klang es zu laut. Die Wolken zogen hastig überm Mond dahin, ihre Schatten liefen durch den zugewucherten Garten wie dicke Männer in Hut und Mantel.
    »Soll ich nicht besser hier Schmiere stehen und du gehst rein und holst das Pulver?«, flüsterte Truls.
    »Schnauze«, sagte Trym und starrte auf das windschiefe dunkle Holzhaus vor ihnen. So klein es bei Ta geslicht wirkte, so groß ragte es jetzt in der Nacht vor ihnen auf.

    »Und, bisschen Angst?«, fragte Truls.
    »Nix«, sagte Trym. »Du etwa?«
    »Quatsch! Wollte nur wissen, ob du welche hast.«
    »Los, komm schon.« Trym kletterte über den Zaun. Als sie drüben waren, standen sie still und lauschten. Doch nichts war zu hören, als der eine oder andere träumende Grashüpfer und der Wind, der im Birnbaum brauste und die Wände des Hauses dazu brachte, zu knirschen und zu krachen wie ein alter Mann, der längst vergessene, bemooste Schauergeschichten erzählt.
    Sie wateten durch das Gras zum Haus. Truls konnte sein Herz schlagen hören. Trym seines vielleicht auch.
    Als sie die Kellertür erreichten, zückte Trym die Brechstange.
    »Moment mal!«, flüsterte Truls. »Schau erst mal nach, ob sie überhaupt zu ist.«
    »Idiot«, fauchte Trym. »Der lässt doch kein Vermögen in Pupspulver unverschlossen rumliegen!«
    »Wer weiß.«
    »Wetten?«
    »Ich wette eine Tüte Pupspulver.«
    »Abgemacht.«
    Truls drückte den Türgriff und zog. Und weißt du, was? Tatsächlich war die Tür...sie war tatsächlich...ABGESCHLOSSEN!
    »Verdammt«, sagte Truls.
    »Gewonnen!«, sagte Trym, drückte die Spitze der Brechstange in den Türspalt und lehnte sich ans andere Ende der Stange.
    Es knackte ein wenig. Und knackte noch etwas mehr.
    »Momentchen!«, sagte Truls.
    »Nicht schon wieder«, stöhnte Trym.
    »Sieh dir mal das Fenster an.«
    Trym sah sich das Fenster an. Und stemmte sich nicht mehr gegen die Brechstange.
    »Zerbrochen«, sagte er. »Haben wohl irgendwelche Lausebengel mit einem Stein eingeschmissen.«
    »Oder irgendwelche Ratten von Dieben sind uns zuvorgekommen.«
    Sie stiegen durchs Fenster ein und schalteten ihre Taschenlampen an.
    Die Lichtkegel glitten über allerlei merkwürdige Apparaturen, Reagenzröhrchen, Tonnen, Trommeln, Rohre, Glasbehälter und über ein altes Motorrad mit Beiwagen.
    Und hielten auf zwei riesigen Einmachgläsern inne.
    »Das Pulver!«, flüsterte Truls.
    Sie gingen näher heran

Weitere Kostenlose Bücher