Doktor Proktors Pupspulver
einzelnen Bestandteile zerlegen würden. Ganz wie es dem armen Wesen gegangen war, dessen Metallhalsband er im Bauch vorgefunden hatte, als er heute Nacht hier gelandet war.
Kurz bevor das selbstleuchtende Pulver aufgehört hatte zu wirken, hatte er noch den Namen gelesen, der in das Halsband eingraviert war: Attila. Mehr war von dem Ärmsten nicht übrig geblieben. Und jetzt begannen die Verdauungssäfte langsam, Bulles Schuhsohlen aufzulösen. Schon stieg ihm der Geruch von verbranntem Gummi in die Nase. Kein Zweifel, ihn erwartete ein langsamer, grausamer Tod. Kein Zweifel, die Hoffnung, die Würgeschlange könnte ihn hinausniesen oder -würgen, wurde immer geringer. Kein Zweifel, er musste sich etwas einfallen lassen, und zwar schleunigst.
Also ließ Bulle sich etwas einfallen.
Er nahm den Umschlag mit dem Pupsonautenpulver aus der Hosentasche.
Anna Konda, die Riesenwürgeschlange, erwachte jäh. Sie hatte denselben Traum geträumt wie immer: Froh und glücklich schwamm sie mit ihrer Mutter in dem wunderbar warmen Amazonaswasser zwischen Piranhas, Krokodilen, Giftschlangen und anderen guten Freunden umher. Dann wurde sie eines Tages in einem Netz gefangen, aus dem Wasser geholt und in ein eiskaltes Land verfrachtet, wo sie in einem Tierhandel landete. Eines Tages kam ein fetter Junge mit seinem Vater herein, der den Inhaber wütend beschimpfte und ihm Bisswunden an den Händen seines fetten Sohnes zeigte. Da entdeckte der Junge die Schlange, stieß strahlend seinen Vater an und rief: »Anna Konda!« Und das war ihr Name geblieben. Obwohl Anna Konda ein Mädchenname war und die Schlange ein Junge. Glaubte sie jedenfalls.
So war sie in einem Käfig im Stadtteil Hovseter gelandet und wurde mit weißlich blassen, runden, faden Frikadellen gefüttert, die nach Fisch schmeckten, während der fette Junge ihr mit Stöckchen in die Seite pikste. Das war nun schon über dreißig Jahre her, aber Anna Konda schrak immer noch häufig aus diesem fürchterlichen Albtraum auf. Schweißnass wäre sie gewesen, wenn denn Schlangen schwitzen könnten. Dann atmete sie erleichtert auf, dass sie nicht in der Wohnung in Hovseter war, sondern in einem gemütlichen, warmen Abwasserkanal unterm Stadtzentrum von Oslo.
Eines Nachts nämlich hatte der Junge den Käfig nicht ordentlich verschlossen und Anna Konda konnte durch das offene Schlafzimmerfenster entkommen, durchs Regenrohr auf die Straße, wo sie nach einiger Sucherei und etlichen hysterischen Damenschreien einen losen Kanaldeckel entdeckte. Die erste Nacht in der Kanalisation von Oslo hatte sie voller Todesangst in einer Ecke zusammen geringelt verbracht. Aber das änderte sich rasch. Bereits am nächsten Tag tat sie, was Anakondas so tun: Lebewesen erwürgen und fressen. Hier wimmelte es ja geradezu von norwegischen Wanderratten, Fledermäusen und gewöhnlichen Mäusen. Es war nicht dasselbe wie der Amazonas, das nicht, aber doch auch gar nicht so übel. Gerade neulich hatte sie eine echte mongolische Wasserratte erbeutet.
Jetzt, wo Anna Konda so groß war, pflegte sie das Er würgen zu überspringen, sie schluckte ihr Fressen einfach so herunter, das war doch viel praktischer. Sie meinte sich zwar zu erinnern, dass ihre Mutter gesagt hatte, es seien schlechte Tischmanieren, wenn man das Fressen unerwürgt runterwürgt, aber hier unten konnte das ja niemand sehen. Darum hatte Anna Konda auch dieses kleine selbstleuchtende Stück Fleisch mit den roten Haaren einfach runtergeschluckt. Jetzt aber beschlich sie langsam der Verdacht, dass das nicht so schlau gewesen war. Denn was sie geweckt hatte, das war das Gefühl, dass es in ihr drin eine Explosion gegeben hatte und ein ganz gewaltiger Rülpser aus ihr herauswollte. Darum presste Anna Konda ihr Maul zusammen, während sie spürte, dass ihr Schlangenleib aufgeblasen wurde. Und sich weiter aufblies. Anna Konda drückte die Kiefer aufeinander. Jetzt glich ihr Leib einem enormen wurstförmigen Ballon und er schwoll immer noch weiter an. Aber Anna Konda ließ nicht locker, gefressen war gefressen, wieder ausgespuckt wurde nicht. Jetzt war sie derart aufgeblasen, dass ihre schwarzen Schlangenschuppen an den Wänden des Abwasserkanals schabten. Ihre Kiefer schmerzten. Sie konnte bald nicht mehr. Und der Druck von innen wurde immer noch stärker...
Konnte bald nicht mehr...
Konnte bald...
Konnte... Nicht!
Anna Kondas Maul sprang auf und heraus kam ein Rülpser. Und hier ist keine Rede von einem gewöhnlichen Rülpser, sondern
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