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Doktor Proktors Pupspulver

Doktor Proktors Pupspulver

Titel: Doktor Proktors Pupspulver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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und leuchteten auf die Etiketten. Beschriftet waren sie mit einer schnörkeligen Schönschrift, wie Frau Strobe sie ihnen hatte beibringen wollen, aber weder Truls noch Trym hatten sie besonders gut hinbekommen.
    »Doktor Proktors Ganz Gewöhnliches Pupspulver«, entzifferte Truls mühsam das eine.
    »Pupsonautenpulver«, las Trym das andere vor. »Für Kinder unzugänglich aufbewahren.«
    »Hähä«, lachte Truls.
    »Hoho«, lachte Trym. »Vater wird sich freuen.«
    »Und wir kriegen einen Swimmingpool. Komm, Bruder.«
    Und sie griffen jeder ein Einmachglas und schlichen denselben Weg nach Hause, den sie gekommen waren.
    Nur der Mond sah sie, sonst niemand, als er furchtsam zwischen den dahinjagenden Wolken hindurchblickte.
    Sonst niemand – obwohl, vielleicht doch noch jemand in dem roten Haus auf der anderen Straßenseite. Jedenfalls hatten sich die Gardinen an einem Fenster im ersten Stock ein ganz klein wenig bewegt.

18 . Kapite l
Die noch größere Flucht
    ber Oslo und der Festung Akershus ging die Sonne auf. Und da unten herrschte eine gewaltige Aufregung.
    »Waaaas?«, brüllte der Kommandant. »Das Schießpulver aus Schanghai ist weg?«
    »Gestern Mittag ist es verschwunden, beim Ausladen im Hafen, Chef«, sagte der stramme, aber deutlich nervöse Gardist, der vor ihm stand.
    »Verschwunden? Wie kann das sein?«
    »Der Träger sagt, eine riesige Würgeschlange hat es verschlungen, Chef.«
    Die Fenster des Kommandantenbüros klirrten unterm Gebrüll des Kommandanten: »Wollen Sie mir im Ernst einreden, eine Schlange hat die Kiste mit dem Schießpulver gefressen?«
    »Nein. Der Träger wollte mir das einreden und jetzt will ich Ihnen das einreden, Chef.«
    Jetzt war das Gesicht des Kommandanten so rot, sein Bauch so aufgeblasen, dass der Gardist fürchtete, sein Chef könne jeden Augenblick explodieren. »Alles faule Ausreden! Der Tölpel hat die Kiste ins Wasser fallen lassen! Und wissen Sie, was das bedeutet, mein verehrter Kanoniergardist?«

    Oh ja, der Kanoniergardist wusste, was das bedeutete. Es bedeutete, dass es erstmals seit über hundert Jahren keinen Königssalut geben würde. Menschen von Strömstad in Schweden bis nach Polen, ja bis nach Madagaskar würden diese kleine Nation da oben im Norden höhnisch auslachen und darüber spotten, was für ein unfähiges Volk doch dort lebte. »Norwegen – von wegen!«, würden sie sagen oder »Denen ist wohl das Hirn eingefroren!« und solche Sachen.
    »Was tun wir jetzt?«, fragte der Kanoniergardist.
    Und wie ein dicker roter Ballon, der undicht geworden ist, sank der Kommandant plötzlich auf seinem Stuhl in sich zusammen, ließ die Stirn auf den Schreibtisch sinken und blieb so liegen. Er sagte etwas, aber seine Lippen blubberten auf der Tischplatte, sodass es nicht zu verstehen war.
    »Wie bitte?«, fragte der Kanoniergardist.
    Der Kommandant hob den Kopf ein winzig kleines Stückchen vom Tisch. »Ich weiß nicht.«
    Aber die Sonne schien und lächelte, als ob nichts geschehen wäre. Das sollte sie an einem Tag wie diesem eigentlich nicht tun.
    Fassen wir die Situation kurz zusammen:
    Das Schießpulver ist weg. Bulle ist gefressen worden. Doktor Proktor sitzt im Gefängnis. Und die Thrane-Gangster haben sein Pulver gestohlen.
    Wie kann es dann aber sein, dass Lise augenscheinlich froh und sorgenfrei Klarinette spielt, wo sie jetzt, frühmorgens am Vortag des 17. Mai, mit ihrer Schulkapelle durch die Straßen marschiert? Hat sie etwa alle Probleme vergessen? Ist sie etwa doch jemand ganz anderes, als wir dachten, ist sie jemand, der sich schlicht und einfach nicht um seine Freunde sorgt? Oder weiß sie etwas, das wir nicht wissen?
    Das mag zwar sein, aber dafür wissen auch wir etwas, das sie nicht weiß. Wir wissen, dass Bulle von einer Anakonda gefressen wurde. Und der Einzige außer uns und der Würgeschlange, der das auch weiß, das ist Bulle selbst.

    Ich bin von einer Würgeschlange gefressen worden, dachte er. Er saß im finsteren Schlangenbauch, der sich schlängelnd bewegte, während es von Decke und Wänden nass tropfte. Von der Reise durch die enge Gurgel
    der Schlange taten ihm noch alle Knochen weh, aber hier drin ließ es sich schon besser aushalten. Immerhin war er noch heil und ganz. Aber es war nur eine Frage der Zeit, dass sich genau das änderte. Denn von Seite 129 in »TIERE, DENEN DU NIE BEGEGNEN MÖCHTEST« wusste er noch allzu gut, dass diese Tropfen ätzende Verdauungssäfte waren. Die nach und nach seinen Körper in die

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