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Doktor Proktors Pupspulver

Doktor Proktors Pupspulver

Titel: Doktor Proktors Pupspulver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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von einem Rülpsdonner, der das südliche Stadtzentrum von Oslo in seinen Grundfesten erschütterte. Und wie wenn man einen Ballon, dessen Öffnung man zugehalten hat, auf einmal loslässt, genauso raketengleich schoss Anna Konda durch die Abwasserkanäle davon. Wrrrruuuuummmmmm! Wie eine Kanonenkugel durch die Kanone. Sie wurde immer schneller, und als sie ein paar Nanosekunden später aus dem Kanal unterm Kai im Hafen schoss, flog sie ein gutes Stück weit quer über den Fjord, bis sie gen Himmel fuhr. Und genau wie ein entflogener Ballon schlenkerte sie hin und her, begleitet von einem knatternden Furzgeräusch. Bis ihr irgendwann die Luft ausging und sie weit draußen im Fjord auf einer Insel in einer Tanne landete, wo sie dann hing wie ein mottenlöchriges Löwenfell.
    Bulle trieb auf dem Rücken im Abwasser wie ein Stück Kacke, schaute zur Decke und lachte. Das Echo seines Lachens schallte weit durch viele Kanäle. Er war frei! Rund eine Minute, nachdem er das Pupsonautenpulver eingenommen hatte, war er wie ein Geschoss aus dem Maul der Anakonda geflogen. Wer hätte gedacht, dass sich Abwasser so befreiend anfühlen konnte!

    Doch nach einer Weile verging ihm das Lachen. Es gab noch so viele ungelöste Probleme. Die Schlange würde bald in ihren Abwasserkanal zurückfinden und dann musste er hier weg sein. Aber wie sollte er das anstellen?
    Nichts wie raus hier! Als er sich umschaute, war kein einziges Ausgang-Schild zu sehen. Nur eine Holzkiste, die im Halbdunkel dümpelte. Er krabbelte auf sie hinauf und paddelte weiter hinein. Oder hinaus? Er hatte keine Ahnung. Und nachdem er so gut zehn Minuten hin und her und um manche Kurven gepaddelt war, wusste er immer noch nicht, wo er war und wie er einen Ausgang finden sollte. Also paddelte er nicht weiter. Und wie er so in der Dunkelheit saß und lauschte, war ihm, als höre er da ein leises Geräusch. Nein, dachte er, ihm war nicht nur so, es war ein Geräusch. Das lauter wurde. Ein schauriges Getöse. Ein Getöse wie am Jüngsten Tag, wie ein Flugzeugabsturz und einkrachende Ruinen auf einmal, ein Getöse, das das Nervensystem panisch zum Zucken brachte und überall Angst und Schrecken verbreitete. Und Bulle wusste, dieses Getöse konnte nur eines sein: die schuleigene Blaskapelle. Er paddelte dem Lärm hinterher, so schnell er konnte, um zwei Ecken herum und richtig: Da sah er einen Streifen Sonnenlicht unter etwas, das nur ein Schacht nach oben sein konnte. Bulle paddelte bis zu einer Metallleiter, die dort an der Wand montiert war, und blickte hinauf. Die Leiter führte ganz bis nach oben zum Licht. Und tatsächlich sah er dort die Unterseite eines Kanaldeckels. Bulle hüpfte von der Holzkiste und kletterte hoch, so schnell er nur konnte. Auf halber Strecke blickte er hinab, sein Herz machte einen Satz und er nahm sich fest vor, auf keinen Fall nochmals hinunterzuschauen. Manchmal ist es einfach besser, wenn man nicht weiß, wie weit es bis unten ist.
    Als er ganz oben angelangt war und hörte, dass die Katzenmusik seiner Schulkapelle sich schon wieder entfernte, stemmte er mit aller Kraft die Schulter unter den Kanaldeckel. Und noch einmal. Und noch einmal. Aber es war leider genau so, wie Doktor Proktor es gesagt hatte, die Kanaldeckel in dieser Stadt ließen sich um keinen Millimeter verrücken. Und von dem Pupsonautenpulver, mit dem er den Deckel gen Himmel hätte pupsen können, war kein Krümelchen mehr übrig.

    So laut er nur konnte, rief Bulle: »Hilfe! Hilfe!«
    Das Getöse der hässlichsten Janitscharenmusik auf der nördlichen Erdhalbkugel war jetzt beinahe verklungen, aber Bulle wurde von den Autos übertönt, die wieder auf der Straße über seinem Kopf fuhren.
    »Hilfe! Hilfe!«, rief Bulle. »Hier unten lebt eine Anakonda, die kommt gleich nach Hause zum Mittagessen!«
    Bulle wusste natürlich, kein Mensch würde ihm glauben, selbst wenn ein Mensch ihn hören konnte, aber was machte das schon, wo ihn sowieso kein Mensch hörte?
    Er hielt sich fest, bis ihm die Arme wehtaten, und schrie, bis nur noch ein heiseres Krächzen aus seiner Kehle kam. Mutlos kletterte er wieder hinab und legte sich erschöpft auf die Holzkiste. Dann setzte er sich wieder hin und lauschte nach dem Zischen der Würgeschlange. Und während er so dasaß, fielen ihm im Schein des Lichtstreifs Löcher im Deckel der Kiste auf. Löcher wie von großen, furchtbar scharfen Fangzähnen. Und dann sah er die roten Buchstaben auf dem Kistendeckel:
    »VORSICHT! HOCHEXPLOSIVES

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