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Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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entschuldigend mit den Schultern, immer noch dieses schafsdumme Grinsen im Gesicht.
    Seufzend durchwühlte Lise ihre eigene Waschtasche und nahm die Nagelfeile heraus.
    »Stillgestanden!«, kommandierte sie. »Und hilf mit!«
    Mit beiden Händen zog Bulle seine Lippen beiseite, sodass Lise ihm die Nagelfeile in den Mundwinkel schieben und losfeilen konnte. Während sie von links nach rechts langsam seine Unter-und Oberzähne auseinanderfeilte, summte Bulle die Marseillaise.

    »Meine Herren«, sagte er, als Lise fertig war und er sich im Spiegel anschaute. »So was von Weiß! Und fertig verplombt sind sie jetzt auch, da kommen nie wieder Löcher rein. Nie wieder zum Zahnarzt!« Er nahm die Klebstofftube zur Hand. »Willst du’s auch versuchen?«
    »Nein danke. Was meinst du, warum liegt Doktor Proktors Schnellwirkender Superkleber ausgerechnet hier, zusammen mit dem ganzen Werkzeug?«
    »Klare Sache«, sagte Bulle. »Er renoviert das Bad.«
    »Vielleicht«, gähnte Lise. »Aber genug nachgedacht für heute.«
    Doch als sie im Bett lagen, konnte Lise doch nicht einschlafen, sondern lauschte dem tropfenden Wasserhahn.
    Es klang wie traurige Seufzer. Von draußen waren ferner Verkehrslärm zu hören und schrill jaulende Akkordeonmusik. Und ein Geräusch, über dessen Herkunft sie sich nicht ganz sicher war, ein Quietschen, vielleicht eine im Wind schaukelnde Straßenlaterne. Oder – nur zum Beispiel – ein Holzbein mit Rollschuh.
    Aber man denkt ja so viel Seltsames, wenn es dunkel ist und man allein in einer großen, fremden Stadt im Bett liegt. Sie sah zu Bulle hinüber. Na ja, fast allein.
    Morgen sieht alles wahrscheinlich fröhlicher aus.
    Und wahrhaftig, da sollte sie recht behalten.

5 . Kapite l
Cancan, Schnecken und Margarine
    ulle wachte auf, weil Lise ihn schüttelte.
    Er schielte in das Tageslicht, das durch das Fenster hereinströmte, und sah, dass sie schon angezogen war.
    »Es ist neun Uhr«, sagte sie. »Ich suche eine Bibliothek und schaue mal, ob ich einen Taschen-Sprachführer finde.«
    »Was für ein Dings?«
    »Ein kleines norwegisch-französisches Wörterbuch mit allen möglichen Sätzen drin, damit wir uns verständlich machen können.«
    Bulle setzte sich auf. »Und wie willst du eine Bibliothek finden?«
    »Mich auf der Straße durchfragen. Es heißt auch auf Französisch ›Bibliothek‹.«
    »Weiß ich doch, Mensch«, sagte Bulle. »Was gibt’s zum Frühstück?«
    »Nichts«, sagte Lise. »In diesem Land gibt es zum Frühstück nur Luft und Kaffee. Ich kaufe auf dem Rückweg ein Weißbrot.«
    »Dann beeil dich«, sagte Bulle und schwang die Füße aus dem Bett. Sie baumelten dicht über dem Linoleumboden und sahen aus, als würden sie sich fragen, ob er wohl kalt war.
    Als Lise die Tür hinter sich geschlossen hatte, hüpfte er aus dem Bett auf den Boden – der nicht kalt war, sondern eiskalt – und wetzte ins Bad. Zitternd sprang er auf den Stuhl vorm Waschbecken und grüßte in den Spiegel. Seinen Gruß erwiderte ein – wenn man ihn selbst fragen würde – ungewöhnlich gut aussehender, rothaariger junger Mann von bescheidener Körpergröße, aber unbescheiden großer Intelligenz und Charme. Ja, Bulle war so zufrieden mit dem Jungen, den er im Spiegel sah, dass er ihm an diesem frösteligen Morgen doch gleich ein schönes, warmes Bad gönnen wollte.
    Also drehte er den rostigen Badewannenwasserhahn auf und ließ ihn laufen, während er sich nach Schaumbad oder etwas Ähnlichem umsah. Als er nichts fand, fiel ihm ein, dass Lise ja Seifenpulver mitgenommen hatte. Und tatsächlich, in ihrem Ranzen fand er neben zwei Na-senklemmen ein Glas mit der Aufschrift »ZEITSEIFE«. Er nahm eine von den Nasenklemmen und das Glas mit ins Bad, wo er ein wenig von dem erdbeerroten Pulver ins Badewasser rieseln ließ.
    Von wegen Zeit, erzähl mir nichts, dachte er, als er sah, wie es gleich lossprudelte, wie es anschwoll und zu einer weißen Schaumwelle anwuchs, die bald die ganze Badewanne füllte. Bulle zog sich aus, kletterte auf den Rand der Badewanne, setzte sich die Klemme auf die Nase und krähte: »Bomba!«

    Er sprang in die Luft, zog die Beine an, griff mit den Armen um sie herum und sauste durch den Schaum. Ein perfekter Sprung mit Riesenwirkung. Seifenschaum und Wasser spritzten an die Wände und bis zur Decke empor. Zufrieden ließ er sich auf den Grund sinken, wo er mit angehaltenem Atem liegen blieb und zur Oberfläche hi naufsah. Die Schaumschicht war so dicht, dass nur wenig Licht

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