Doktor Proktors Zeitbadewanne
Schreibtisch im Schlafzimmer. Und dort – mitten auf dem Tisch – lag eine Zeichnung, die ihre Aufmerksamkeit erregte. Sie nahm sie in die Hand. Auf ihr war eine Badewanne zu sehen, so eine wie im Badezimmer. Unter dem Bild standen eine Menge Zahlen auf dem Blatt. Berechnungen, offenbar sogar ziemlich komplizierte Berechnungen. Hier musste man wahrscheinlich zugleich dividieren, multiplizieren und Prozentrechnungen anstellen.
»Was hast du da?« Bulle kam aus dem Bad.
»Ich weiß nicht«, sagte Lise. »Aber es sieht ganz nach Doktor Proktors Handschrift aus.«
»Und das da sieht aus wie Doktor Proktors Motorradhelm.« Bulle hatte die Tür des Kleiderschranks geöffnet und hielt einen braunen Lederhelm in der Hand. »Und das sind dann wohl seine langen weißen Unterhosen.«
Die französische Frau redete wieder auf Französisch los. Sie fuchtelte dramatisch mit den Armen, rief wiederholt ein Wort, das klang wie »ewaporeh!«, und imitierte mit den Fingern einen davonfliegenden Vogel.
»Er ist verschwunden«, sagte Lise.
»Hab ich auch kapiert«, sagte Bulle.
Die Rotwangige deutete erst fragend auf Bulle und Lise, und dann mit allen fünf Fingern auf ihren Mund.
»Und was will sie jetzt wissen, was meinst du?«, fragte Lise.
»Wie viele Finger wir auf einmal in den Mund stecken können?«, meinte Bulle.
»Dummkopf. Sie will wissen, ob wir Hunger haben.«
Und dann nahm die nette Frau sie mit in die Küche hinunter und platzierte sie an einem Tisch. Sie setzte ihnen Hühnerbeinchen oder Hühnerflügel vor oder was das nun war, es schmeckte jedenfalls sehr gut, fand Bulle, der schließlich so was von pappsatt war, dass ihm unwillkürlich ein Rülpser entschlüpfte. Eilends stand er auf und dienerte höflich, mit vollendeter Eleganz, so fand er jedenfalls selbst, und sagte eine lange, in Versform erdichtete Entschuldigung auf, über die der Mann und die Frau laut lachen mussten, obwohl sie kein Wörtchen verstanden. Dann gähnte Bulle so laut, dass es aussah, als würde es seinen Kopf gleich in zwei Stücke reißen.
Die Dame verschwand und kam mit zwei Garnituren Bettzeug wieder, die sie ihnen gab, dazu den Schlüssel zu Doktor Proktors Zimmer.
Während Bulle und Lise ihre Betten machten, sagte Bulle, diese Hühnerbeinchen seien ja so klein gewesen, man könnte sie geradezu für Froschschenkel halten. Darüber lachten sie beide herzlich – denn wer könnte auf die Idee kommen, Froschschenkel zu essen?
»Hm«, meinte Bulle nach einer Weile. »Warum sieht dein Bett so viel gemachter aus als meins?«
»Weil es sinnvoller ist, die Zudecke in den Bettbezug zu stecken statt in den Kissenbezug«, seufzte Lise und kam Bulle zur Hilfe.
Dann gingen sie ins Badezimmer, um sich die Zähne zu putzen.
»Wie sollen wir nur den Professor finden?«, fragte Lise.
»Ich bin jetzt zum Nachdenken zu müde«, gähnte Bulle mit halb geschlossenen Augen und schob den Schraubenzieher auf dem Bord beiseite, um an die Zahncreme zu kommen. »Das überlegen wir uns morgen.«
»Aber wie sollen wir ihn finden, wenn kein Mensch uns versteht? Und wir keinen Menschen verstehen?«
»Wir lernen morgen Französisch«, sagte Bulle.
»Morgen? Unmöglich!«
»Hier unten kann jedes Kind Französisch, da wird es so schwer ja wohl nicht sein.« Bulle drückte sich etwas Zahncreme auf die Zahnbürste, steckte sie in den Mund und bürstete drauflos.
»Das dauert doch Wochen und Monate«, sagte Lise. »Und ich habe das Gefühl, wir haben nicht besonders viel Zeit.«
»Da kannst du Gift drauf nehmen«, gurgelte Bulle. »Montag haben wir Orchesterprobe.«
»Hör auf mit dem Quatsch, Bulle! Ich meine das ernst.«
Sie drehte sich zu ihrem Freund um, der sie mit weißen Zähne angrinste. Mit überraschend weißen Zähnen sogar.
Ja, weißer, als sie jemals waren; Bulle war keiner von denen, die sich ständig die Zähne putzen.
»Bulle«, sagte sie, »was ist mit deinen Zähnen? Bulle? Sag schon.«
Aber Bulle stand nur da mit seinem Grinsen, einem so starren Grinsen, dass es aussah, als wären die Unterzähne fest mit den Oberzähnen verleimt. Und als Lise seine verzweifelten Blicke sah und wie er wild mit der Zahnbürste gestikulierte, begriff sie, dass genau das passiert sein musste. Sie schaute auf das Bord am Spiegel. Genau: Bulles Zahncreme war unberührt, aber die Klebstofftube war aufgeschraubt.
Sie griff danach und las laut vor: »Doktor Proktors Schnell wirkender Superkleber! Du hast die falsche Tube erwischt, Bulle.«
Bulle zuckte
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