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Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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hindurchdrang. Und in dem Licht sah er einen wunderschönen Regenbogen. Wie eine ganze Riege farbenprächtiger, die Beine hochwerfender Cancan-Tänzerinnen in der Roten Mühle im Paris von 1909. Ach, wer das erleben könnte!
    In diesem Moment spürte Bulle, wie die Badewanne unter ihm irgendwie zu schwanken begann und die Wasseroberfläche über ihm schwappte auf und ab. Als würde der Fußboden wackeln. Verflucht, stürzte vielleicht das Haus ein? Und hörte er da nicht Musik?
    Bulle stand auf. Und so stand er splitternackt da, während der Schaum an seinem Körper hinabglitt. Der Boden schwankte nicht mehr. Denn die Riege rot gekleideter Cancan-Tänzerinnen tanzte nicht mehr. Stattdessen starrten sie Bulle mindestens ebenso überrascht an wie er sie.
    »Wo ist er hergekommen?«, hörte er eine der Tänzerinnen flüstern.
    »Und die Badewanne?«, eine andere.
    »Was hat der da auf der Nase?«, rief eine dritte.
    »Der ist doch ziemlich süß«, kicherte eine vierte.
    Bulle blinzelte ins scharfe Licht und in das Publikum, das mit offenen Mündern dasaß, als wäre es gerade zum Zeugen einer unerwarteten Mondlandung geworden. Bulle begriff überhaupt nichts. Abgesehen von einem: Er be fand sich mitten auf der Bühne des Moulin Rouge, der Roten Mühle, jenes legendären Vergnügungslokals mitten in Paris.
    Lise ging eine breite Avenue mit Modegeschäften und Parfümerien entlang, aber keine Bibliothek kam in Sicht. Sie hatte beim Gehen die rotwangige Dame fragen wollen, aber es war niemand an der Rezeption gewesen. Nur ein nilpferdartig fetter, zeitunglesender Mann saß im Eingangsbereich und bedachte sie mit einem misstrauisch wachsamen Blick. Jetzt sank ihr Mut zusehends, denn alle, die sie fragen wollte, reckten die Nase gen Himmel, sobald sie feststellten, dass sie kein Französisch sprach. Ihr schwante allmählich, dass nicht alle Franzosen so hilfsbereit waren wie die Wirtsleute der Pension Pommes Frites. Ihr Blick wanderte über die Schaufenster, ob vielleicht we- nigstens ein Buchladen dabei war. Aber meistens sah sie nichts als Kleider. Schöne Kleider, genau besehen. Lise blieb stehen, um sich ein besonders tolles anzuschauen. Während sie es bewunderte, bemerkte sie etwas im Spiegelbild der Straße, das im Schaufenster deutlich zu sehen war. Auf der anderen Straßenseite stand eine Frau mit langem Mantel und großer Sonnenbrille. Zu weit entfernt, als dass Lise sie deutlich hätte sehen können, dennoch hatte sie etwas seltsam Bekanntes an sich. Und obgleich Lise nicht sicher erkennen konnte, wer diese Frau war, eines sah sie doch eindeutig: Sie beobachtete sie.

    Lise ging weiter, tat so, als betrachte sie interessiert die Schaufenster, und tatsächlich: Die Frau auf der anderen Straßenseite folgte ihr.
    Lise spürte, wie ihr Herz und ihre Füße gleichermaßen schneller gingen. Wer war das, was wollte sie? War das am Ende... konnte es denn...?
    Jetzt kam die Frau über die Straße!
    Lise rannte weg.
    Auf dem Bürgersteig waren viele Menschen unterwegs. Lise versuchte, sich durchzuschlängeln, so schnell es ging, und zugleich den Kopf gesenkt zu halten, damit ihre Verfolgerin sie nicht sah. Als sie sich umdrehte, sah sie dennoch kurz den Mantel zwischen den Leuten hinter sich. Lise schlüpfte in ein enges Gässchen und rannte los.
    Aber leider musste sie feststellen, dass sie in eine Sackgasse geraten war, die an einer Mauer endete. Sie presste sich mit dem Rücken hinter einem Regenrohr an die Wand und wartete mit angehaltenem Atem. Da kam auf der Hauptstraße der Mantel in Sicht! Er...er... eilte an der Gasse vorüber, ohne nach rechts oder nach links zu blicken. Lise atmete erleichtert auf. Jetzt musste sie zurück in die Pension; Wörterbuch und Weißbrot konnten warten. Doch als sie gerade zur Straße zurückgehen wollte, sah sie den Mantel erneut. Er war zurückgekommen und jetzt hielt er direkt vor dem Eingang zum Gässchen inne, wo er stehen blieb und zu schnüffeln schien! Zu Lises Füßen führte eine Metalltreppe in einen Keller und sie schlüpfte rasch hinunter. Die Treppe führte zu einer Tür, vor der Lise mit angehaltenem Atem wartete.
    Die Sekunden verstrichen.
    Dann hörte sie ein Geräusch von oben. Jemand kam näher.
    Vorsichtig drückte Lise die Türklinke nach unten. Zu ihrer Erleichterung ging sie auf! Sie trat ins Dunkle, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich mit dem Rücken daran. Ihr Herz klopfte wie ein steppendes Kaninchen. Es war kein großes Wunder, dass die Tür

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