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Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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wollte Lise Bulle in die Pension mitbringen. Aber erst mal musste Bulle warten, denn jetzt wollte Lise hören, was Juliette Margarine zu berichten hatte.
    »Wo genau Viktor ist, weiß ich nicht«, sagte Juliette. »Aber ich war dabei, als er abreiste, und ich weiß, wohin er wollte. Doch das ist eine lange Geschichte und ich glaube, ich fange besser beim Anfang an.«
    »In Ordnung«, sagte Lise und nahm einen großen Bissen von ihrem Croissant.

    »Das Ganze begann an einem Sonntagmorgen vor vielen Jahren, als ich hier in Paris auf dem Montmartre spazieren ging. Auf diesem Hügel warten immer viele Maler auf Kundschaft, sie porträtieren die Touristen für wenig Geld. Doch mitten unter ihnen entdeckte ich einen etwas merkwürdig wirkenden jungen Mann, den ich von der Universität her kannte. Er studierte Chemie, genau wie ich. Ich wusste sogar, dass er Viktor Proktor hieß, ein vielversprechender Erfinder war und aus Norwegen kam. Manchmal hatte ich den Eindruck gehabt, er hätte mich gern angesprochen, traue sich aber nicht. Aber an diesem Morgen auf dem Montmartre kam er auf mich zu und zeigte mir ein seltsames Gebilde – eine Maschine, die er erfunden hatte, eine Porträtmaschine. In einem Bruchteil der Zeit, den die anderen Maler brauchten, konnte sie die Passanten malen, und das für den halben Preis. Ich ließ mich von ihm malen – also von der Maschine, genauer gesagt. Aber als das Bild fertig war, sah er es sich ein paar Sekunden lang an und zerriss es dann unter verzweifeltem Stöhnen in kleine Stücke. Ich fragte ihn, was denn passiert sei, und er erklärte, ihm sei wohl mal wieder eine Erfindung missglückt. Die Porträtmaschine hatte die Schönheit meines Gesichts einfach nicht erfasst. Er gab mir das Geld zurück und wollte gehen, aber ich fragte, ob ich ihn für seine Mühe denn nicht wenigstens auf einen Café au Lait einladen könnte. Wir gingen in genau dieses Café, wo wir jetzt sitzen, und unterhielten uns über Chemie, bis es dunkel wurde. Dann bestellten wir Wein und redeten weiter, über unser Leben, darüber, was uns gefiel, worüber wir uns freuten, und über unsere Träume. Und als er mich an dem Abend zur Metro brachte, so heißt die U-Bahn hier bei uns in Paris, war ich längst unsterblich verliebt und wusste, dass ich ihn wollte. Ich wusste es einfach!« Juliette lachte. »Ab jenem Tag dachte ich nur noch an diesen jungen, hübschen Erfinder aus dem Land da oben im Norden.«
    »Hübsch?«, fragte Lise zweifelnd. »Doktor Proktor?«
    »Oh ja, er sah gut aus, wirklich. Die ganze Woche lang, jeden Tag hielt ich auf der Universität nach ihm Ausschau, konnte ihn aber nirgends entdecken. Am nächsten Sonntag machte ich wieder meinen Spaziergang zum Montmartre und siehe da, dort stand er, genau an derselben Stelle wie zuletzt, nur ohne Porträtmaschine. Er fror jämmerlich, aber als er mich erkannte, strahlte er und wir küssten uns auf beide Wangen, wie es bei uns in Frankreich üblich ist. Als ich ihn fragte, wo er die ganze Woche gesteckt habe, sagte er, er habe gewartet. ›Wo denn?‹, fragte ich. ›Na, hier‹, sagte er. ›Und worauf?‹, fragte ich. ›Auf dich‹, sagte er. Und von diesem Tag an waren Viktor und ich ein Paar.«
    »Oooh«, brach es aus Lise hervor, »wie romantisch!«
    »Ja, das war es«, nickte Juliette, schaute ein wenig traurig drein und trank einen kleinen Schluck Kaffee. »Nur leider war da jemand, der andere Pläne mit mir hatte.«
    »Ja, Ihr Vater, der Baron«, sagte Lise. »Er wollte nicht, dass Sie den armen Erfinder heiraten. Oder?«
    »Mehr oder weniger stimmt das schon, aber der Plan, den ich meine, stammte nicht von ihm. Du musst wissen, die Familie derer von Margarine ist ein altes, vornehmes Adelsgeschlecht. Vater ist Baron, Mutter war eine Baronesse und mich macht das zu einer Baronette. Einstmals waren wir auch sehr wohlhabend. Bis mein Ur-Ur-Ur-Urgroßvater, der Graf von Monte Crispo, vor über zweihundert Jahren während der Französischen Revolution vom Scharfrichter Blutenbrunn enthauptet wurde. Leider erbte sein Bruder, Baron Dély Margarine, das gesamte Familienvermögen. Er war ein Spieler und Trunkenbold und brachte das gesamte Vermögen bei ›Acht sticht‹ durch.«
    »Acht sticht?«
    »Dély hatte eine lange Pechsträhne, doch bei einem Kartenspiel in einer Spelunke in Toulouse hatte er auf einmal alle vier Achten und war einfach restlos überzeugt, dass das Glück sich gewendet haben musste. Also setzte er den gesamten Rest des

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