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Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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anderes.
    Bulle dreht sich danach um. Und erblickte einen kleinen, hageren Mann, der auf der Wiese lag, einen Grashalm im Mund. Er trug einen blauen Radfahrerdress mit einer Startnummer auf Brust und Rücken.
    »Guter Spurt«, lachte der Mann. »Du solltest es mal mit Radfahren versuchen, Junge.«
    »Danke«, sagte Bulle. Und da er der geborenene Optimist war und außerdem Gesellschaft und ein gutes Gespräch zu schätzen wusste, erschien ihm seine Lage gleich etwas rosiger.
    »Können Sie mir mal erklären, warum so ein Stier dermaßen wütend werden muss?«, fragte Bulle. »Hab ich dem Fleischberg vielleicht was getan?«
    »Rotes Haar«, sagte der Mann und deutete auf Bulles Kopf. »Wenn sie Rot sehen, sehen Stiere rot.«
    Bulle hielt seinen rothaarigen Kopf schräg und fragte: »Wie kommt es eigentlich, dass Sie Norwegisch sprechen?«
    Wieder lachte der Mann. »Ich spreche Französisch, mein Guter. Du doch auch.«
    »Ich?«
    »Du bist vielleicht ein witziger Clown. Wie heißt du?«
    »Bulle. Und ich bin kein Clown.«
    »Nein?«, fragte der Mann. »Dann entschuldige bitte, Bulle, ich habe das für eine Clownsnase gehalten.«
    Bulle griff sich an die Nase. Die Klemme hatte er ganz vergessen. Aber jetzt dämmerte ihm etwas. Er nahm die Nasenklemme ab und sagte: »Und wie heißt du, fremder Mann im blauen Radfahrerdress?«
    Der Mann blickte ihn verständnislos an. »Kässkä tü a dih?«
    »A-ha!«, rief Bulle triumphierend. Es war ihm nämlich nicht nur gedämmert, sondern aufgegangen wie eine helle Sonne, er begriff alles. Na ja, so gut wie alles. Jedenfalls aber war ihm jetzt klar, warum er die Cancan-Tänzerinnen verstanden und warum Juliette gesagt hatte, sie sollten die Nasenklemmen aufbehalten. Denn das waren tatsächlich Franznasenklemmen – wer sie trug, sprach und verstand fließend Französisch! Heiho, wieder mal eine geniale Doktor-Proktor-Erfindung!
    Bulle war so begeistert, dass er wie üblich sämtliche Probleme vergaß. Er setzte die Nasenklemme wieder auf und fragte den Mann, wie er hieß und warum um alles in der Welt er hier gemütlich im Gras lag, während hinten alle anderen Radfahrer vorbeisausten, als gälte es ihr Leben.
    »Ich heiße Eddy. Und ich habe heute schon den dritten Platten.« Er zeigte auf sein Rennrad, das auf Sattel und Lenker stand, die Räder in die Luft. »Ich hab’s einfach satt. Und das heutige Ziel liegt auf dem Gipfel dieses Berges dort.«

    Eddy deutete auf den schneebedeckten Gipfel des Berges vor ihnen und Bulle musste die Augen zusammenkneifen, um so weit hinaufzublicken.
    »Und du, Bulle?«
    »Ich komme aus der Zukunft«, sagte Bulle. »Ich glaube, ich bin in der richtigen Zeit gelandet, aber am falschen Ort. Welches Jahr haben wir und wie heißt das hier?«
    Eddy lachte noch lauter als vorhin. »Danke, Bulle, du heiterst mich wenigstens auf.«
    »Ich meine das völlig ernst.«
    »Aha«, sagte Eddy. »Wir haben das Jahr 1969, der Ort heißt Inamist. Und wohin wolltest du?«
    »Inamist?«, murmelte Bulle und kratzte sich hinterm linken Ohr. »Ich sollte zwar tatsächlich an einem Ort sein, dessen Name mit In-anfängt, aber den Rest hab ich vergessen. Lise ist jetzt dort, wissen Sie.«
    »Lise?«
    »Ja, wir suchen Doktor Proktor. Vielleicht hat sie ihn schon gefunden und jetzt warten sie nur noch darauf, dass ich auftauche. Es ist absolut lebensnotwendig, dass ich sie finde. Ohne sie muss ich im Jahr 1969 bleiben.«
    »Klingt ja nicht gut«, sagte Eddy, nahm einen Schluck aus einer Wasserflasche und hielt sie Bulle hin. »1969 ist nämlich ein Mistjahr.«
    »Aha?«, meinte Bulle.
    »Nur platte Reifen, bei jedem einzelnen Rennen«, sagte Eddy. »Genauso schlecht wie 1815 für Napoleon.«
    »1815? Napoleon?«
    »Weißt du das nicht mehr?«
    Bulle dachte nach. »Ich glaube, da war ich noch nicht mal geboren.«
    »Aus dem Geschichtsunterricht, du Witzbold! Der 18. Juli 1815. Das war, als Napoleons Heer...«
    ». . . über die Alpen zog?«, versuchte Bulle es.
    »Nein.« Eddy wedelte eine Hummel weg. »Das war seine Niederlage in Waterloo. Ich weiß das so genau, weil Waterloo nur ein paar Minuten Radfahrt mit Eddy-Geschwindigkeit von der Fahrradwerkstatt meines Vaters in Belgien entfernt liegt. Bratpfannenflache Gegend. Weißt du was? Ich glaub, ich gebe die Rennradfahrerei auf und suche mir zu Hause eine Arbeit.«
    »Gute Idee«, sagte Bulle und nahm selbst einen Schluck aus der Wasserflasche. »Wozu soll das auch gut sein, immerzu diese viel zu hohen Berge rauf-und

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