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Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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schüttelte lachend den Kopf, bevor er wieder verschwand. Als er ein paar Stunden darauf zurückkam, brachte er Hemd, Anzug und ein Paar Schuhe und informierte Bulle, das alles solle er zum abendlichen Festmahl anziehen.
    »Cool!« Bulle betrachtete sich im Spiegel. »Gibt’s auch Cancan?«
    Eddy schüttelte lachend den Kopf, genau wie der Schneider vorhin. »Die nächste Etappe beginnt morgen früh pünktlich um acht. Ich esse vier Stück Pommes Frites, dann gehe ich ins Bett.«
    »Spielverderber!«, rief Bulle und steppte ein bisschen in den nagelneuen Lackschuhen, dass es auf dem Marmorboden nur so hallte. »Let’s party!«
    Das Festmahl fand im hoteleigenen Restaurant statt. Viele feierlich gekleidete Menschen standen Schlange, um Bulle die Hand zu drücken, aber soweit er sehen konnte, gab es keinen Cancan. Ein paar von den anderen Radfahrern kamen zu ihm und erkundigten sich, ob er ihnen etwas von diesem Pulver da verkaufen könne, das er genommen hatte, und sie zischten »Doping!«, als er den Kopf schüttelte. Insgesamt war es eher langweilig. Bereits während der Vorspeisen fielen Bulle die Augen zu, dann glitt er unmerklich auf die Sitzfläche des Stuhls und verschwand aus der Sicht der Festgäste. Eddy entdeckte den schlafenden Bulle, versuchte drei Mal vergeblich, ihn zu wecken, lud ihn sich auf die Schulter und trug ihn all die Treppen bis in die Turmsuite hinauf. Dort legte er ihn in das größte von allen Betten schlafen und kletterte selbst in das kleinste. Dann gähnte er noch zwei Mal und löschte das Licht.
    Bulle erwachte und schlug die Augen auf. Ein Streifen Sonnenlicht drang durch einen Spalt zwischen den Vorhängen und schien mitten in sein sommersprossiges Gesicht. Er reckte sich und entdeckte, dass jemand ihm ein winziges Gelbes Trikot auf den Nachttisch gelegt hatte. Darauf war gedruckt »Tuhr dö Frangss 1969« und daneben lag ein Zettel:
    Guten Morgen, Bulle! Danke für die Hilfe. Wollte dich nicht wecken. Wenn du das hier liest, läuft längst die nächste Etappe. Hoffe, Lise und der Doktor kommen bald.
    Auf immer dein Freund, Eddy.
    Bulle rekelte sich abermals und stellte fest, dass er in allerbester Form und ebensolcher Laune war. Allerdings auch, dass er eigentlich noch ein bisschen schlafen könnte. Er dachte kurz darüber nach, gähnte und schloss die Augen. Und dachte an Frühstück. Und als er daran dachte, hörte er, wie die Tür vorsichtig geöffnet wurde, und roch den vertrauten Duft von Essen. Er lächelte und träumte davon, was für Köstlichkeiten jetzt wohl auf dem Servierwagen zu ihm hereingeschoben wurden. Ja, er brauchte nicht einmal die Augen zu öffnen, um zu wissen, dass es ein Servierwagen war, er konnte ja die Räder quietschen hören.
    Die Räder quietschen...
    Bulle riss die Augen auf und starrte an die Decke.
    Schnupperte noch einmal nach dem Essensduft. Es roch nicht nach Rührei mit Schinken. Es roch... nach rohem Fleisch und alten Socken.
    Er sprang im Bett auf, doch da knallte die Zimmertür bereits zu und der Schlüssel wurde herumgedreht. Und da, direkt vor ihm, stand eine hochgewachsene Gestalt im langen schwarzen Mantel, unter dem ein Holzbein herausschaute.
    Die rot angemalten Lippen dieser Gestalt waren zu einem ungewöhnlich breiten Lächeln geöffnet, das spitze kreideweiße Zähne freilegte. In der Hand hielt sie eine langläufige Pistole, so alt, als wäre sie aus einem Museum gestohlen. Die Stimme, mit der sie sprach, war heiser wie Wüstenwind:
    »Guten Morgen, Bulle. Wo ist er? Wo ist Doktor Proktor?«
    »R-r-r. . .«, sagte Bulle. »Ra-ra-ra. . .«
    Kein Zweifel. Das Stottern war zurück.

11 . Kapite l
Die Eiffel-Brücke
    ise stand in der Badewanne; Seifenschaum troff ihr von Kleidern und Wimpern. Sie sah sich um. Als Erstes stellte sie fest, dass sie von hohen, düsteren Bergen umgeben war, die der Sonne im Licht standen. Als Zweites, dass die Badewanne auf einem Felsvorsprung stand. Als Drittes, dass sich direkt vor ihr eine Brücke erstreckte, eine Stahlbrücke, verrußt und altersgrau. Als Viertes, dass sie allein war. Mit anderen Worten, Bulle war nirgends zu sehen.
    »Bulle!«, rief Lise. »Bulle!«, gab das Echo zurück, erst von einer Felswand, dann von noch einer, dann von einer weiteren.
    Sie sprang aus der Bandewanne und trat an den Rand des Felsvorsprungs. Ein tiefer Abgrund schnitt sich zwischen ihr und der Brücke in den Fels.
    »Bulle!« »Bulle!... Bulle!... Bulle!...« Dann erstarb das Echo. »Hallo!«
    Die Stimme, die das

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