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Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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wieder runter-zufahren?«
    »Wozu das gut sein soll?« Eddy starrte Bulle an, als hätte Bulle ihn an etwas längst Vergessenes erinnert.
    »Ja«, sagte Bulle und ließ noch ein bisschen Wasser in sich hineingluckern. Diese Zeitreise hatte ihn ungewöhnlich durstig werden lassen.
    »Das hier ist die Tuhr dö Frangss«, sagte Eddy. »Wer diese Bergetappe gewinnt, kriegt Geld, wird von hübschen Mädchen auf die Wangen geküsst und im Fernsehen interviewt, während ganz Frankreich dabei zusieht.«
    Bulle dachte darüber nach und allmählich ging ihm auf, dass das doch zu etwas gut sein könnte. Zumal das mit den Küssen. Und von ganz Frankreich im Fernsehen gesehen zu werden, war auch nicht so übel...
    »Moment!«, sagte Bulle. »Sagtest du GANZ Frankreich?«
    »Absolut«, sagte Eddy. »Während der Tuhr dö Frangss sitzt jeder einzelne Mensch im ganzen Land vor dem Fernseher. Es lässt sich gar nicht vermeiden, alles zu sehen.«
    »Auch, wenn man gar keinen Fernseher hat?«
    »In sämtlichen Cafés, Restaurants und Geschäften laufen die Fernseher. Merde! Jetzt ärgere ich mich doch, Bulle. Am liebsten würde ich mich aufs Fahrrad schwingen und dieses verflixte Rennen doch noch gewinnen!«
    »Das sollst du auch!«, rief Bulle, lief zu Eddy hin und zog ihn hoch.
    »Was?«, fragte Eddy.
    »Erst helfe ich dir, den Reifen zu flicken, und dann pupsen wir uns zum Gipfel hoch und werden vom Fernsehen interviewt.«
    »Wir?«, fragte Eddy, während Bulle ihn zum Fahrrad schubste.
    »Jau. Ich will nämlich auch interviewt werden. Und dann kann ich Lise und Doktor Proktor mitteilen, wo sie mich finden können, damit wir in unsere eigene Zeit zurückkommen.«
    »Du redest ja wirklich einen Haufen buntes Zeug«, murmelte Eddy und holte das Flickzeug heraus. »Aber meine Kampfeslust geweckt hast du jedenfalls wieder.«
    Minuten später hoben zwei wiederkäuende Schafe die Köpfe, als ein Fahrrad vorm Zaun ihrer Weide vorüberfuhr.
    »Hast du das gesehen?«, fragte das eine wiederkäuende Schaf das andere. »Zwei auf einem Rad. Is’ das nich’ Betruch?«
    Das andere Schaf blinzelte schläfrig mit den Augen. »Mmmhääh, wieso. Geht schwerer bergauf. Außerdem isser Letzter.«
    »Das isses nich«, sagte das erste. »Isses ERLAUBT?«
    Darauf kaute das zweite eine Weile herum.
    »Keine Ahnung«, sagte es schließlich. »Bin ’n Schaf, weißte. Keinen Schimmer von so Zeugs.«
    Eddy stand in den Pedalen und strampelte, was seine Beine hergaben. Nicht nur, dass es schneller ging, wenn er stand, sondern der Sattel war besetzt, von einem rothaarigen Winzling mit einer blauen Nasenklemme, der ihn in einem fort anfeuerte:
    »Auf geht’s, Eddy! Tritt rein, Eddy! Du bist der Beste, Eddy!«
    Und wenn Eddy das Tempo ein bisschen sinken ließ:
    »Was ist los, Eddy? Willst du Kloppe, Eddy? Soll das dein Waterloo werden, Eddy? Willst du bis an dein Lebensende platte Reifen flicken, Eddy? Du kannst das besser! Es ist schööön, sich abzustrampeln!«
    Und tatsächlich, es half! Bald begannen sie, andere Fahrer zu überholen, die diesem merkwürdigen Gespann mit aufgerissenem Mund hinterherstarrten.
    »Hau rein, Eddy!«, schrie der kleine Junge auf dem Sattel. »Die anderen sind viiiel müder als du! Denk an die Mädchen, die am Ziel auf dich warten, Eddy. Sie haben weiche Lippen. Weeeiche Lippen, Eddy! Schneller, sonst blamierst du dich zu Tode! Dann ist es nix mit süßen Küssen, sondern du wirst büßen müssen!«
    Und Eddy, der nicht ausprobieren wollte, wie dieses »büßen« im Einzelnen aussehen würde, trat in die Pedale. Ihm hing die Zunge aus dem Mund, er schnaufte mit einem seltsam kratzigen Geräusch.
    Doch immer noch überholten sie andere Rennfahrer und waren bereits ein gutes Stück ins Gebirge hineingekommen. In schattigen Mulden lag alter Schnee neben der Straße. Zwar waren Bulles Kleider in der Sonne getrocknet, aber jetzt fror er erbärmlich und klapperte mit den Zähnen, während er abwechselnd Zurufe und Drohungen auf Eddy abfeuerte. Bis dieser ihn keuchend unterbrach:
    »Ich kann nicht mehr...«
    »Was?«, brüllte Bulle zähneklappernd.
    »Das Ziel ist zu nah . . .«, keuchte Eddy. »Wir können nicht mehr alle einholen.«
    »Unfug«, sagte Bulle. »Ich hab gesagt, wir pupsen uns den Berg hoch, und wenn Bulle sagt, wir pupsen, dann kannst du verdammt noch mal...«
    »Dann pups allein . . .«, stöhnte Eddy. Die Zunge hing ihm bis fast auf den Lenker und das Rad schlingerte gefährlich. »Schau dir die Steigung vor uns

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