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Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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an.«
    Und Bulle schaute. Die Straße führte so steil bergauf, dass es aussah wie eine Wand. Und weit, weit vorne, weit, weit dort oben sah er das gelbe Trikot des Ersten.
    »Wird gemacht«, sagte Bulle.
    »Was wird gemacht?«, fragte Eddy.
    »Ich pupse.« Bulle griff in die Tasche, holte eine Tüte heraus, riss sie auf und schüttete sich den Inhalt in den Mund.
    »Was ist das?«, fragte Eddy.
    »Ein kleines Reisegepäck, das mit P anfängt«, sagte Bulle und rülpste. »Festhalten! Sechs – fünf – vier – drei–zwei...«
    »Mich festha. . .?«
    Aber weiter kam Eddy nicht. Ein Knall ertönte, so laut, dass es sich anfühlte, als ob das Ohrenschmalz ihm tief in die Ohren gedrückt würde, und die Augen traten ihm vor die Höhlen. Und dann ein Donnern wie von einem Raketentriebwerk. An ein Raketentriebwerk dachte er, weil er bergan raste wie – ja, genau –, wie eine Rakete!
    »Jippieh!«, schrie Bulle hinter ihm.

    »Jippieh!«, jubelte Eddy und steuerte, so gut er konnte, damit sie nicht von der Straße abkamen und abstürzten. »Pups, was du kannst! Sonst muss ich büßen!«
    »Tu ich ja schon!«, stöhnte Bulle mit knallrotem Gesicht.
    »Schneller, Bulle, wir schaffen es sonst nicht! Denk an die weeeichen Lippen!«
    Und Bulle dachte. Er dachte, wenn sie es jetzt nicht schafften, dann würde er Lise und Doktor Proktor vielleicht nie mehr wiedersehen. Dieser Gedanke presste ihm das Gedärm noch einmal so stark zusammen, er schoss noch einmal so viel Pupsgas heraus und sie fuhren noch ein bisschen schneller.
    Die Zuschauer am Straßenrand sollten noch viele Jahre später darüber reden, dass sie Augenzeuge des fantastischen Endspurts bei der schwersten Bergetappe der Tuhr dö Frangss 1969 gewesen waren, als der legendäre Eddy und sein seltsamer kleiner, rothaariger Mitfahrer, an dessen Namen sich niemand erinnerte, dem Ziel entgegensausten, als hätten sie einen Flugzeugmotor am Fahrrad. Der eine oder andere behauptete sogar, das Fahrrad habe sich von der Straße erhoben, ja, mancher fantasierte, vom Hosenboden des Jungen sei eigentümlicher weißer Qualm ausgegangen. Trotzdem hatte es hoffnungslos geschienen, bis sie auf den letzten paar Metern das Tempo noch einmal hatten steigern können und auf der Zielgeraden das Gelbe Trikot mit einem Unmöglichillionstel Millimeter schlugen. Das war der erste Sieg von Eddy, dem nachmalig weltberühmten Eddy, der weltweit Fahrradrennen gewinnen und später in seinen Memoiren schreiben sollte, jener Sieg in der Provence habe ihm das Selbstvertrauen verliehen, dank dessen er weiter Rad gefahren sei.
    Doch all das war jetzt noch Zukunftsmusik – oder Vergangenheitsmusik, je nachdem, von wann aus man es betrachtet. Beide wurden von einer jubelnden Menschenmenge vom Fahrrad gehoben und zur Siegertribüne getragen, wo sie eine Medaille bekamen, jeder einen Plüschteddy – und Küsse auf die Wangen, von weeeichen Lippen. Dann hielt man ihnen ein Mikrofon vor die Nase und Bulle drängelte sich sofort nach vorn.
    »Tach«, sagte er. »Sind Sie vom Fernsehen?«
    »Ja«, sagte die Frau hinterm Mikro. »Kannst du den Franzosen erklären, wer du eigentlich bist?«
    »Klar«, sagte Bulle. »Wo ist die Kamera?«
    »Dort.« Die Frau deutete auf eine riesige Kamera auf der Ladefläche eines Lastwagens hinter ihr.
    Bulle schaute in die Kamera und richtete sich auf.
    »Hallo, ihr Franzosen«, sagte er. »Ich bin Bulle und diesen Namen solltet ihr euch merken. Hört gut zu, vor allem, wenn ihr Lise oder Doktor Proktor heißt. Ich, also Bulle, befinde mich hier auf dem Gipfel eines Berges namens...äh...«
    »Wir wissen, wie der Berg heißt«, sagte die Frau mit dem Mikrofon ungeduldig. »Du bist wie ein Komet in den Fahrradsport gekommen, Missjöh Bulle, aber bist du gekommen, um zu bleiben?«
    »Nein«, sagte Bulle. »Ich will hier so schnell wie möglich wieder weg, also wenn Lise und Doktor Proktor mich abholen, ich bin auf dem Gipfel des...Wie heißt dieser Berg noch mal?«
    »Mong Blang«, flüsterte Eddy ihm ins Ohr.
    ». . . auf dem Gipfel des Mong Blang«, rief Bulle. »Genauer gesagt im...«
    »Hotel Mong Blang«, flüsterte Eddy.
    ». . . im Hotel Mong Blang!«, rief Bulle.
    »Mein Kollege hier und ich wohnen in der Turmsuite«, sagte Eddy in die Kamera. »Der Sieger bekommt immer die Turmsuite. Beeilt euch, Lise und Doktor Proktor!«
    Nach dem Interview ging es geradewegs zu Massage und heißem Bad in die Turmsuite des Hotels. Ein Schneider kam herauf, nahm an Bulle Maß und

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