Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doktor Proktors Zeitbadewanne

Doktor Proktors Zeitbadewanne

Titel: Doktor Proktors Zeitbadewanne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
rief, kam von der Brücke. Lise legte sich die Hand über die Augen und spürte, wie ihr Mut wieder stieg, als sie eine Gestalt erkannte, die am Ende der Brücke auf der Straße stand und ihr zuwinkte. Sollte das Bulle sein? Oder vielleicht sogar Doktor Proktor?
    »Haaallooo!«, antwortete Lise und watete durch das Gras der Böschung, die zur Straße führte. Unterdessen hörte sie etwas, ein Brummen wie von einem sich nähernden Motor. Und die Stimme dort drüben rief ihr wieder etwas zu. Sie blieb stehen, um es besser zu hören:
    »Beeil dich! Sie kommen!«
    Nein, das waren weder Bulle noch Doktor Proktor, das war eine Mädchenstimme. Lise hörte, wie das Motor-brummen lauter wurde, und wusste instinktiv, dass sie tun musste, was das Mädchen sagte. Also tat sie es. Sie beeilte sich. Lise rannte, so schnell sie nur konnte, während das Fahrzeug immer näher kam. Als sie das Ende der Brücke erreicht hatte, sah sie, dass das Mädchen etwas jünger war als sie selbst, dass es dunkles Haar und braune Augen hatte und einen roten Poncho trug. Sie ergriff Lises Hand und zog sie in den Graben neben der Straße, wo sie sich versteckten, während ein Motorrad um die Kurve kam.
    Und dieses Motorrad erkannte Lise auf den ersten Blick wieder.
    Es hatte einen Beiwagen, der Fahrer war lang und dünn und trug einen langen Wollschal um den Hals gewickelt, der ihm nachwehte, bis hinter die Kurve. Nun kam auch das Ende des Schals in Sicht. Eine Frau hielt es gepackt und sauste hinter ihm her, als stünde sie auf Wasserskiern. Schwarzer Qualm quoll unter ihren verbrannten Schuhsohlen hervor. Lise sperrte Mund und Augen auf. Sie wusste, was gleich passieren würde!
    Und genau das passierte. Nur viel schneller, als Lise es sich während Juliettes Bericht vorgestellt hatte: Die Frau schleuderte an den Straßenrand, der Schal wickelte sich um den Pfosten des Schildes mit dem Namen der Brücke und ein Stückchen weiter wurde der Fahrer vom Motorrad gerissen, als der Schal sich um seinen Hals festzog.

    Die Frau kreiselte in immer engeren Runden um den Pfosten. Funken sprühend schlitterte das Motorrad über den Asphalt, bis es endlich liegen blieb und sich wieder Stille zwischen die Berge senkte.
    »Juliette!«, rief Lise der Frau zu, die endlich den Schal losgelassen hatte, von dieser rasenden Karussellfahrt sichtlich benommen, und jetzt auf die Brücke schwankte, ohne Lises Ruf zu beachten.
    »Juliette!« Lise wollte ihr nachlaufen, aber das Mädchen mit dem Poncho hielt sie fest.
    »Er hat gesagt, wir sollen hierbleiben«, sagte sie.
    »Wer hat das gesagt?«, rief Lise und versuchte, sich loszureißen.
    »Doktor Proktor«, sagte das Mädchen.
    Lise erstarrte. »Doktor Proktor war hier?«
    »Ja«, sagte das Mädchen. »Er hat gesagt, wir sollen nicht eingreifen, sondern alles so laufen lassen, wie es eben läuft. Sonst würden wir seinen anderen Plan durchkreuzen. Duck dich, die Nilpferde kommen!«
    Kaum hatte sie das Wort Nilpferde ausgesprochen, da hörte Lise erneut Motorenbrummen; und tatsächlich, eine schwarze Limousine kam um die Kurve. Sie rollte vorsichtig auf die Brücke, die gerade eben breit genug war, dass der Wagen draufpasste.
    Lise saß zusammengekauert da und verfolgte, wie die Frau auf der Brücke dem Motorradfahrer auf die Beine half.
    »Gleich setzt er sich aufs Motorrad und fährt weiter nach Italien«, flüsterte Lise. »Und sie ergibt sich den Nilpferden, die sie nach Paris bringen, zu Claude Cliché. Den muss sie dann heiraten.«
    »Ich weiß«, sagte das Mächen und erklärte, als Lise sie fragend ansah: »Das hat mir der Professor erzählt. Aus welcher Zeit kommst du?«
    »Aus derselben wie Doktor Proktor. Woher weißt du, dass ich aus der Zukunft komme?«
    »Ich habe die Badewanne gesehen. Wie heißt du?«
    »Lise. Lise Pedersen. Ich bin hier, weil ich Doktor Proktor suche. Bist du auch eine Zeitreisende?«
    Das Mädchen lachte kopfschüttelnd. »Nein, ich bin nur von hier und heute. Ich heiße Anna. Anna Scholih.«
    »Witzig«, sagte Lise. »Meine beste Freundin heißt auch Anna. Sie wohnt in Sarpsborg. Meine Eltern denken, ich bin gerade bei ihr zu Besuch.« Lise spürte, wie ihr beim Gedanken an Mutter und Vater die Tränen kamen.
    Anna lächelte und streichelte Lise tröstend die Wange. Obwohl sie wahrscheinlich mindestens ein Jahr jünger war als Lise. Andererseits wäre Anna, falls Lise jemals in ihre eigene Zeit zurückkam und Anna dort begegnete, mindestens so alt wie Lises Mutter.
    »Bist du

Weitere Kostenlose Bücher