Dokument1
manchmal absolut nicht mehr jung vorkam, sondern wie ein Veteran, der aus einem unerklärten Krieg schwerverwundet zurückgekommen war.
Er liebkoste das Lenkrad. Die grünen Katzenaugen am Armaturenbrett leuchteten behaglich.
»Okay«, sagte er, seufzte es fast.
Er schob den Gangwähler auf das große F und tippte aufs Radio. Dee Dee Sharp sang »Mashed Potato Time«. Mystischer Unsinn, der ihm aus der Dunkelheit auf Radiowellen zugetragen wurde.
Er löste sich vom Bordstein und hatte vor, zum Flughafen zu fahren, wo er seinen Wagen auf den Dauerparkplatz stellen und dann den Bus nehmen wollte, der jede volle Stunde vom Flughafengebäude abfuhr.
Das tat er auch, traf aber nicht so rechtzeitig dort ein, daß er den 23-Uhr-Bus erwischte, wie er das eigentlich gewollt hatte.
Statt dessen wurde es der Mitternachtsbus. Und erst, als er im Bett lag und er sich an Leighs warme Küsse erinnerte und nicht an Christines eigenartiges Aufmucken, wurde ihm bewußt, daß er irgendwo zwischen der Abfahrt von Cabots Haus und der Ankunft am Flughafen eine Stunde verloren hatte. Das war so offensichtlich, daß er sich wie ein Mann vorkam, der das ganze Haus umkrempelte, weil er ein lebenswichtiges Dokument vermißte, um schließlich zu entdecken, daß er es die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte. Deprimierend offensichtlich und… ein bißchen unheimlich.
Wo war er gewesen?
Er hatte eine verschwommene Erinnerung daran, daß er vor Leighs Haus anfuhr, und dann…
… dann war er irgendwo herumgefahren.
Herumgefahren im Schneetreiben, durch leere Straßen, auf denen sich ein weißer Belag bildete, herumgefahren ohne Winterreifen (und doch hatte Christine mit ihrer unglaublichen Trittsicherheit nicht einmal ihre Spur verlassen, war keinen Zoll gerutscht, als er um Hausecken bog. Christine schien auf eine magische Weise stets die sicherste und griffigste Stelle auf der Fahrbahn zu finden, und die Fahrt war so ruhig und gleichmä-
ßig verlaufen wie in einem Schienenfahrzeug), herumgefahren mit eingeschaltetem Radio, Musik ohne Pause, ausnahmslos Oldies, die sich ausnahmslos mit jungen Mädchen beschäftigten: Peggy Sue, Carol, Barbara-Ann, Susie Darlin’…
Und da war es ihm irgendwann doch etwas mulmig geworden, und er hatte einen der Chromknöpfe gedrückt, mit denen die Stationen im UKW-Bereich fixiert waren, doch statt der Wochenendparty des Lokalsenders auf 104 MHz bekam er abermals WDIL, nur auf einer anderen Frequenz, und der Discjockey kopierte Alan Freed auf eine verrückte Weise, und der Stimme folgte Screamin’ Jay Hawkins, der die Zuhörer heiser beschwor:
»7 put a spell on youuu… because you’re miüiiine…« - Ich verzaubere dich, denn du gehörst mir…
Und dann am Ende doch noch die Schlechtwetter-Lichter des Flughafens, die rhythmischen Warnsignale wie sichtbare Herzschläge. Was im Radio war, schwand in ein sinnloses Rauschen, und er hatte es ausgeschaltet. Und als er aus dem Wagen stieg, empfand er eine fast unglaubliche, unerklärliche Erleichterung.
Nun lag er im Bett, brauchte dringend seinen Schlaf und fand ihn nicht. Draußen hatte der Schnee über den Regen gesiegt und kroch als fette weiße Raupe über die Fensterscheiben.
Da stimmte was nicht.
Irgend etwas hatte angefangen, und es ging weiter. Da konnte er nicht mehr so tun, als wisse er nichts davon. Der Wagen -
Christine - lobten sie ihn nicht alle dafür, wie phantastisch er sie wieder hergerichtet hatte? Jedesmal, wenn er mit Christine zur Schule fuhr, strömten die Jungs aus der Lehrwerkstätte zusammen und begutachteten sie von allen Seiten. Sie legten sich auf das Rollbrett und bestaunten das neue Auspuffsystem, die neuen Stoßdämpfer, die Reparaturarbeiten an den Bodenble-chen. Sie krochen bis zum Gürtel in den Motorraum hinein, prüften die Keilriemen und den Kühler, dessen Lamellen kein Fleckchen Rost mehr zeigten. Keine grünspanartigen Rück-stände von den Frostschutzmitteln. Sie prüften die Lichtmaschine und die blitzblanken Ventilstößel, die so stramm saßen wie bei einem neuen Motor. Sogar der Luftfilter war ein lack-glänzendes neues Stück, und oben auf dem Deckel war mit weißer Farbe die Zündfolge der Zylinder aufgetragen.
Ja, er war so etwas wie ein Held geworden in den Augen seiner Mitschüler im Mechanikerkursus, und er hatte all die Komplimente mit einem herablassenden Grinsen entgegenge-nommen. Aber war da nicht schon der Keim des Zweifels in ihm aufgegangen, die Ahnung, daß etwas nicht stimmen
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