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Dokument1

Dokument1

Titel: Dokument1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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konnten.
    Aber es mußte ein Traum sein. Schon deswegen, weil der Wagen sie hörte. Kaum war ihr dieser beschwörende Befehl über die Lippen gekommen, als die Scheibenwischer sich plötzlich bewegten und den nassen Schnee auf eine irgendwie verächtlich wirkende Weise fegten. Und dann fuhr er - oder sie
    - mit fließender Bewegung vom Bordstein weg und tauchte im Dunkel der Straße unter.
    Obwohl niemand hinter dem Lenkrad saß.
    Sie war ganz sicher… so sicher, wie man in einem Traum sein kann. Die Scheiben waren zwar mit Schnee bestäubt, aber nicht undurchsichtig. Sie hatte in den Innenraum hineinsehen können, und da saß niemand hinter dem Lenkrad. Also konnte es nur ein Traum gewesen sein.
    Sie ging wankend zu ihrem Bett zurück (in dem noch nie ein Liebhaber gelegen hatte; wie Amie hatte sie noch nie jemanden gehabt) und mußte dabei an ein Weihnachten denken, das schon lange zurücklag - zwölf oder vierzehn Jahre. Sie war damals höchstens vier. Sie und ihre Mutter hatten ein großes Kaufhaus in Boston besucht, Filene’s…
    Sie bettete ihren Kopf auf das Kissen zurück und schlief ein (in ihrem Traum) - mit offenen Augen, die das erste Licht der Dämmerung hinter dem Fenster sahen, und dann (in Träumen ist alles möglich) sah sie das Schaufenster von Filene’s Spiel-warenabteilung im Flitterschmuck von Lametta und elektrischen Weihnachtskerzen. Sie suchten etwas für Bruce, den einzigen Neffen ihrer Eltern. Irgendwo sprach ein Kaufhaus-Nikolaus in eine Lautsprecheranlage, und manchmal wurden die Laute unheimlich, unheilschwanger verzerrt, und wenn er lachte, klang es wie das Gelächter eines Wahnsinnigen, der in der Nacht nicht mit Geschenken kam, sondern mit einem Hackebeil.
    Sie hatte mit der Hand auf etwas gedeutet und zu ihrer Mutter gesagt, das sollte der Weihnachtsmann ihr bringen.
    Nein, mein Kleines, Santa kann dir das nicht bringen. Das ist ein Spielzeug für Jungs.
    Aber ich möchte es haben!
    Santa bringt dir eine hübsche Puppe, vielleicht sogar eine Barbie…
    Ich möchte aber das da haben!
    Das stellen die Engel im Himmel nur für kleine Jungen her, Lee-Lee, mein Liebling.
    Die Engel packen für Mädchen hübsche Puppen ein…
    Ich möchte keine PUPPE haben! Ich möchte keine BARBIE! Ich möchte… DAS DA!
    Wenn du dich weiter so aufführst, Leigh, gehen wir auf der Stelle nach Hause. Also nimm dich jetzt zusammen!
    Da hatte sie nachgegeben, und der Weihnachtsmann hatte ihr nicht nur eine Barbie gebracht, sondern auch noch Ken, und sie hatte sich darüber gefreut (vermutlich), konnte darüber aber nicht den roten Remco-Rennwagen vergessen, der drahtlos durch eine grün angemalte Gipslandschaft raste, die einen so täuschend echten Rennkurs darstellte, daß man nicht einmal eine Stromschiene sah, und dessen fast perfekte Illusion nur durch die Sinnlosigkeit des Immer-im-Kreis-Herumfahrens getrübt wurde. Ja, aber er fuhr sehr schnell, dieser Wagen, und in ihren Augen wurde er zu einem hellroten Wunderwerk.
    Keine Illusion, sondern verzauberte, Sehnsucht weckende Wirklichkeit. Die Illusion bestand natürlich darin, daß der Wagen von selbst fuhr. Sie wußte, daß ein Angestellter rechts in der Kabine sitzen mußte und dort auf die verschiedenen Knöpfe des Steuergeräts drückte. Ihre Mutter hatte ihr das so erklärt, und so mußte es auch sein, aber ihre Augen leugneten diesen Sachverhalt.
    Ihr Herz glaubte nicht daran.
    Sie stand fasziniert da, die kleinen Hände in den Fäustlingen gegen das Geländer der Auslage gestemmt, und sah zu, wie der Wagen immer wieder auf dem Oval durch die Hügel fuhr, von selbst fuhr, bis ihre Mutter sie mit sanfter Gewalt wegzog.
    Und über allem das geheimnisvolle Lachen des Kaufhaus-Weihnachtsmannes, so dynamisch vibrierend, daß selbst das Lametta an den Plastik-Weihnachtsbäumen erzitterte.
    Leigh fiel in einen tiefen Schlaf; die Träume und Erinnerungen schwanden allmählich, und draußen kroch das Tageslicht heran wie kalte Milch und erhellte die sonntagmorgenstille, sonntagmorgenleere Straße. Der erste Schnee lag auf der Fahrbahn, bis auf die Reifenspuren, die vor dem Haus der Cabots ganz dicht an den Bordstein heranführten und dann in einer schlanken Kurve wieder davon wegführten, zur Kreuzung am Ende dieses Wohnblocks.
    Leigh stand erst gegen zehn Uhr auf (ihre Mutter, die nicht viel von Langschläfern hielt, weckte sie, damit sie vor dem Mittagessen noch frühstücken konnte), und da hatte sich die Luft schon wieder bis auf zehn Grad erwärmt -

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