Dokument1
so leise, daß sie kaum zu hören war. Ihre Hände rupften und zerknüllten das Papiertaschentuch, zerrissen es in kleine Stücke, daß ihr brauner Cordrock sich mit weißen Fasern bedeckte. »Meine Eltern wollen, daß ich nicht mehr mit ihm gehe. Sie haben Angst, daß Repperton und seine Clique weiteres Unheil an-richten.«
»Du bist ziemlich sicher, daß es Buddy und seine Freunde gewesen sind, nicht wahr?«
»Ja. Jeder glaubt das. Mr. Cunningham verständigte die Polizei, obwohl Arnie das nicht wollte. Arnie sagte, er würde auf seine Weise mit den Typen abrechnen, und das jagte seinen Eltern einen Schrecken ein. Mir auch. Die Polizei hat Buddy Repperton verhört und auch einen von seinen Freunden, den sie Moochie nennen… weißt du, wen ich meine?«
»Ja.«
»Und den Jungen, der nachts den Parkplatz am Flughafen bewacht, den haben sie auch befragt. Galton heißt er, glaube ich…«
»Sandy.«
»Die Polizei meint, er müsse mitgemacht haben, daß er sie vielleicht hineingelassen hat.«
»Sandy gehört zu dieser Clique«, erwiderte Dennis, »aber er ist noch nicht ganz so auf den Hund gekommen wie die anderen. Leigh, wenn Arnie nicht mit dir darüber geredet hat, dann muß ein anderer dir alles erzählt haben.«
»Zuerst Mrs. Cunningham, dann sein Vater. Ich glaube nicht, daß sie voneinander wußten, daß sie beide mit mir darüber sprachen. Sie…«
»Waren sie entsetzt?«
“Sie schüttelte den Kopf. »Nein, mehr als das«, sagte sie. »Sie wirkten beide auf mich so… wie betäubt. Sie tut mir eigentlich nicht wirklich leid… sie will nur ihren eigenen Kopf durchsetzen, glaube ich… Aber als ich mit Mr. Cunningham sprach, hätte ich am liebsten geweint. Er schien so… so…« Sie beendete den Satz nicht und begann einen neuen. »Als ich gestern nachmittag nach der Schule bei Mrs. Cunningham war, bat sie mich, sie Regina zu nennen; doch ich kann das irgendwie nicht…«
Dennis grinste. »Du bringst es fertig?« fragte Leigh.
»Nun, ja, aber ich hatte jahrelang Zeit, mich daran zu ge-wöhnen.«
Sie lächelte, das erste befreite Lächeln, seit sie bei ihm war.
»Dann kann ich ja noch hoffen. Gestern nachmittag war sie allein im Haus, Mr. Cunningham war noch in der Schule… in der Universität, meine ich.«
»Yeah.«
»Sie hat sich die ganze Woche freigenommen… oder jedenfalls den Rest der Woche. Sie meinte, sie könnte nicht unter-richten, auch nicht die drei restlichen Tage bis zum Erntedankfest.«
»Und wie geht es ihr?«
»Sie ist absolut am Boden zerstört«, sagte Leigh und nahm ein frisches Taschentuch. Sie begann sogleich, es zu zerpflük-ken. »Sie sieht mindestens zehn Jahre älter aus als vor einem Monat, als ich sie das erste Mal sah.«
»Und er? Michael?«
»Älter, aber zugleich härter«, erwiderte Leigh zögernd. »Als hätte diese Geschichte ihn auf Trab gebracht.«
Dennis schwieg. Er kannte Michael Cunningham nun seit dreizehn Jahren und hatte ihn nie »auf Trab« erlebt. Regina war stets die treibende Kraft gewesen, Michael steuerte immer nur in ihrem Fahrwasser, mixte die Drinks bei den Partys (zu denen fast ausschließlich Kollegen von der Universität eingeladen waren), legte die Platten auf und sah die ganze Zeit über melancholisch aus… nein, beim besten Willen vermochte Dennis sich nicht vorzustellen, wie dieser Mann aussah, wenn er auf >Trab gebracht« war.
Der letzte Triumph, hatte sein Vater einmal gesagt, als er vom Wohnzimmerfenster aus beobachtete, wie Regina, ihren Sohn Arnie an der Hand, die Auffahrt vor dem Guilderschen Haus zur Straße hinunterging, wo Michael sie hinter dem Lenkrad seines Wagens erwartete. Arnie und Dennis waren damals vielleicht sieben Jahre alt gewesen. Mutterschaß total. Sie wird den armen Kerl sogar im Auto warten lassen, wenn Arnie eines Tages heiratet …
Dennis’ Mutter hatte ihren Mann stirnrunzelnd angesehen und ihn mit einem vielsagenden Blick auf Dennis - kleine Kessel haben große Ohren - zum Schweigen gebracht. Dennis hatte die stumme Augen-Zwiesprache nie vergessen, auch nicht die Worte seines Vaters - obwohl er als Siebenjähriger den Sinn dieser Worte nicht ganz erfaßt hatte, aber auch ein Siebenjähriger weiß sehr gut, was ein »armer Kerl« ist. Und auch als Siebenjähriger begriff er verschwommen, warum sein Vater Michael Cunningham dafür hielt. Damals hatte ihm Michael Cunningham leid getan… und dieses Mitgefühl war geblieben, bis heute.
»Er kam ungefähr um die Zeit nach Hause, als sie ihre Geschichte
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