Dokument1
Dann folgte eine andere Platte von Billy Joel, auf der er seinem Mädchen Virginia mitteilte, daß katholische Mädchen viel zu spät damit anfingen … es war die Wochenend-Party. Jetzt, dachte Arnie, jetzt wird sie gleich bockig werden… die Zündung unterbrechen, irgendwas … Aber Christine fuhr wie eine Eins.
Die Ladenzeile von Monroeville, die sogenannte »Mall«, war mit hektischen, doch größtenteils gutgelaunten Kauflustigen überschwemmt. Der Letzte-Minute-Ansturm würde erst in zwei Wochen beginnen. So war die Weihnachtsstimmung noch relativ frisch und jung, und man konnte die Flittergold-Girlanden über der Straße sehen, ohne gleich sauer zu werden oder geizig wie Scroogey aus dem Weihnachtsmärchen von Dickens.
Das ständige Läuten der Messingglocken der Heilsarmee war noch kein schuldbewußtes Ärgernis geworden, sie hörten sich noch wie Glocken der frohen Botschaft an und nicht wie in den letzten Tagen vor Weihnachten, wenn Arnie aus dem Läuten heraushörte: Die Armen haben kein Weihnachten die Armen haben kein Weihnachten die Armen haben kein Weihnachten, und die hohläugigen und erschöpften Heilsarmee-Weihnachtsmänner sahen einen auch noch strafend an.
Sie hielten Händchen, bis dafür die Pakete zuviel wurden, und dann beklagte sich Arnie scherzhaft darüber, daß sie ihn als Lastesel mißbrauche. Als sie in das untere Ladengeschoß des Einkaufszentrums hinuntergingen, zu B. Dalton, wo Arnie ein Bastelbuch für Spielzeuge für Dennis Guilders alten Herrn kaufen wollte, bemerkte Leigh, daß es zu schneien angefangen hatte. Sie standen einen Moment lang am Fenster des vergla-sten Treppenhauses und blickten wie Kinder hinaus in das Schneetreiben. Arnie nahm ihre Hand, und Leigh sah ihn lächelnd an. Ihr Haar strömte einen frischen Duft aus, und ihre Haut roch nach leicht parfümierter Seife. Er bewegte den Kopf ein Stück weiter auf sie zu; sie bewegte ihren Kopf ein Stück weiter auf ihn zu. Sie küßten sich kurz, und sie drückte seine Hand. Später, nachdem sie im Buchladen eingekauft hatten, standen sie auf der Terrasse über dem Lichthof des Einkaufszentrums, der im Winter in eine Kunsteisbahn verwandelt wurde, und schauten zu, wie die Schlittschuhläufer zu den Klängen von Weihnachtsliedern Hebesprünge machten und ihre Pirouetten drehten.
Es war ein sehr schöner Tag, bis zu dem Augenblick, als Leigh Cabot fast gestorben wäre.
Sie wäre mit großer Sicherheit gestorben, wenn sie den Anhalter nicht mitgenommen hätten. Es war auf dem Nach-hauseweg gewesen, und die trübe Dezember-Abenddämmerung hatte sich längst in eine verschneite Dunkelheit verwandelt. Christine war leichtfüßig wie immer und fuhr schnurrend und mühelos über die zehn Zentimeter hohe Pulverschnee-decke.
Arnie hatte im British Lion Steak House, dem einzig guten Restaurant in Libertyville, zwei Plätze zum Abendessen reser-vieren lassen; aber ihr Zeitplan war so gründlich durcheinan-dergeraten, daß es nur noch für einen raschen Imbiß bei McDonald’s auf dem JFK-Drive reichte. Leigh hatte ihrer Mutter versprochen, daß sie spätestens um acht Uhr dreißig wieder zu Hause sein würde, denn die Cabots hatten für heute abend ein paar »Freunde eingeladen«, und es war schon viertel vor acht gewesen, als sie von Monroeville Mall wieder abfuhren.
»Kann mir nur recht sein«, sagte Arnie. »Ich bin sowieso schon fast pleite.«
Der Anhalter stand ungefähr fünf Meilen vor Libertyville an der Kreuzung Staatsstraße 17 JFK-Drive, ein schlaksiger Bursche im Scheinwerferlicht mit schulterlangen, schneegespren-kelten schwarzen Haaren und einem Seesack zwischen den Füßen.
Als sie näherkamen, hielt der Anhalter ein Pappschild mit Leuchtbuchstaben hoch: LIBERTYVILLE, PA, stand darauf.
Als sie schon dicht vor ihm waren, drehte er das Schild um.
Auf der anderen Seite stand, ebenfalls in Leuchtbuchstaben: NICHTAUSGEFLIPPTER COLLEGE-STUDENT.
Leigh lachte hellauf: »Nimm ihn doch mit, Arnie.«
Arnie sagte: »Wenn sie schon betonen, daß sie nicht ausgeflippt sind, muß man wirklich auf der Hut sein. Aber okay.«
Er hielt am Straßenrand. An diesem Abend hätte er sogar versucht, den Mond mit einem Weidenkorb einzufangen, wenn Leigh ihn darum gebeten hätte.
Christine brauchte trotz des Schnees für den Bremsweg nur einen Meter mehr als sonst, doch sobald sie stand, gab es heftige atmosphärische Störungen im Radio, das gerade eine harte Rock-Melodie spielte, und als die statischen Geräusche sich wieder
Weitere Kostenlose Bücher