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angezogen, weil Arnie ihr einmal gesagt hatte, daß sie ihm gefiele, vermutlich, weil sie sogar noch strammer saß als ihre engsitzen-den Levis. Sie wünschte sich plötzlich, sie hätte etwas anderes gewählt - etwas, das auch ein phantasiebegabter Mann nicht als provokativ ansehen konnte - vielleicht einen Kartoffelsack.
Sie versuchte zu lächeln - es war schon ein komischer Gedanke, sich einen Kartoffelsack anzuziehen, er müßte bis über die Knie reichen - ha-ha-ho-ho. Aber sie brachte kein Lächeln zustande. Nichts half gegen die Einsicht, daß Arnie sie mit diesem Fremden allein gelassen hatte (zur Strafe? Es war ja ihr Vorschlag gewesen, ihn mitzunehmen), und nun hatte sie Angst vor ihm.
»… ungutes Gefühl«, hörte sie den Anhalter sagen, und dabei stockte ihr der Atem. Seine Worte klangen lapidar, endgültig. Sie konnte Arnie durch das Fenster sehen, er stand als fünfter oder sechster in der Schlange. Es würde noch eine Zeit dauern, bis er am Ausgabeschalter war. Sie sah in ihrer Phantasie bereits die mit Lederhandschuhen bekleideten Hände des Anhalters an ihrer Kehle. Natürlich konnte sie den Hupring drücken… aber ob die Hupe auch funktionieren würde? Sie zweifelte daran, ohne jeden vernünftigen Grund. Sie dachte, daß sie neunundneunzigmal die Hupe drücken konnte, und sie würde funktionieren, aber beim hundertstenmal, wenn dieser Anhalter, für den sie interveniert hatte, sie würgte, würde die Hupe stumm bleiben. Weil… weil Christine sie nicht mochte.
Tatsächlich war sie überzeugt, daß Christine sie haßte. So einfach war das. Verrückt, aber einfach.
»Wa-was sagten Sie eben?« Sie blickte in den Rückspiegel und war unendlich erleichtert, als sie bemerkte, daß der Fremde sie nicht einmal ansah, sondern sich im Auto umschaute. Er fuhr mit der flachen Hand über den neuen Überzug und schließlich mit den Fingerspitzen sogar über den Wagenhimmel.
»Ein ungutes Gefühl«, wiederholte er und schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, warum - ich habe ein ungutes Gefühl in diesem Wagen.«
»Tatsächlich?« sagte sie und hoffte, daß ihre Stimme neutral klang.
»Ja. Als kleiner Junge bin ich mal mit dem Lift steckengeblieben. Seither habe ich hin und wieder Anfälle von Klaustrophobie. In einem Wagen habe ich bisher so einen Anfall noch nie erlebt, aber Mann, jetzt hat es mich schlimm gepackt. Ich glaube, Sie könnten ein Streichholz an meiner Zunge anzünden, so trocken ist mein Mund.« Er lachte verlegen.
»Wenn es nicht schon so spät wäre, würde ich glatt aussteigen und zu Fuß gehen. Damit will ich Sie oder den Wagen Ihres Freundes nicht beleidigen«, fügte er hastig hinzu, und als Leigh wieder in den Rückspiegel sah, kamen ihr seine Augen gar nicht wild vor, nur nervös. Offensichtlich stimmte das mit der Klaustrophobie, und er sah auch gar nicht mehr wie Charlie Manson aus. Leigh fragte sich, wie sie nur so dumm hatte sein können… sie wußte, wie und warum sie auf diesen Gedanken gekommen war. Sie wußte das sehr, sehr genau.
Es war der Wagen. Den ganzen Tag lang hatte sie sich mit Christine wohlgefühlt, aber jetzt kehrten Nervosität und Antipathie zurück. Sie hatte ihre Gefühle auf den Anhalter projiziert, weil … nun, weil man natürlich nervös und ängstlich sein konnte, wenn man mit einem Typ allein war, den man eben erst vom Straßenrand aufgesammelt hatte, aber es war verrückt, vor einem Auto Angst zu haben, vor einem leblosen, künstlichen Gebilde aus Stahl, Glas, Plastik und Chrom. Das war nicht nur ein bißchen exzentrisch, das war wahnsinnig.
»Riechen Sie nichts?« fragte der Anhalter.
»Was soll ich denn riechen?«
»Ein unangenehmer Geruch.«
»Nein, nichts.« Ihre Finger zupften wieder ruhelos, diesmal am Saum ihres Pullovers, zogen kleine Angorawollfäden heraus. Ihr Herz klopfte unangenehm gegen ihre Rippen. »Das muß wohl zu Ihrer Klaustrophobie gehören.«
»Vermutlich haben Sie recht.«
Aber sie roch es auch. Unter den guten Gerüchen von Leder und neuen Polsterbezügen war noch ein anderer, schwächerer Geruch: wie faule Eier. Nur ein Hauch… ein beharrlicher Hauch.
»Was dagegen, wenn ich das Fenster einen Spalt öffne?«
»Wenn Ihnen das hilft, gern«, erwiderte Leigh. Sie merkte, daß es sie abermals Mühe kostete, den festen, sachlichen Ton beizubehalten. Plötzlich trat vor ihr inneres Auge das Foto, das gestern morgen in der Zeitung abgedruckt gewesen war - ein Foto von Moochie Welch, vermutlich aus dem
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