Dokument1
Eingeweiden pochten erschöpft.
Er betrachtete sein blasses hageres Gesicht im fleckigen Spiegel, die dunklen Ringe unter seinen Augen und die verschwitzte Haarsträhne auf der Stirn. Junkins hatte recht. Er sah aus wie ausgespuckt.
Aber seine Pickel waren verschwunden.
Er lachte irr. Er würde Christine nicht aufgeben, egal, was kam. Das war das einzige, was er nicht aufgeben würde. Er…
Und plötzlich würgte es ihn wieder, nur war da nichts mehr, was noch hochkommen konnte: nur dieses krampfhafte, krächzende Würgen und dieser elektrisch-metallische Geschmack von Speichel in seinem Mund. Er mußte mit Leigh reden.
Plötzlich mußte er unbedingt mit Leigh reden.
Er sperrte mit seinem Schlüssel Wills Büro auf, in dem das einzige Geräusch die Zeituhr an der Wand war, die zu jeder vollen Minute mit einem schnarrenden Geräusch eine andere Ziffer nachschob. Er wählte die Nummer der Cabots aus dem Gedächtnis, drückte aber zweimal den falschen Knopf, weil seine Finger so heftig zitterten.
Leigh kam selbst an den Apparat. Ihre Stimme klang schläfrig.
»Arnie?«
»Ich muß mit dir reden, Leigh. Ich muß dich unbedingt sehen.«
»Arnie, es ist fast zehn. Ich komme gerade aus der Dusche, und… wollte ins Bett… Ich schlafe fast schon…«
»Bitte«, sagte er und schloß die Augen.
»Morgen«, sagte sie. »Heute ist es unmöglich. Meine Eltern würden mich nicht mehr so spät aus dem Haus gehen lassen…«
»Es ist doch erst zehn. Und dazu noch Freitagabend.«
»Sie haben es gar nicht mehr gerne, wenn ich dich so oft sehe, Arnie. Sie mochten dich anfangs, und mein Dad mag dich immer noch… aber sie sind beide der Ansicht, daß du ein bißchen unheimlich geworden bist.« Und dann folgte eine lange, lange Pause, ehe Leigh hinzusetzte: »Ich glaube das auch.«
»Soll das bedeuten, daß du mich nicht mehr sehen willst?«
fragte er dumpf. Sein Magen schmerzte, sein Rücken schmerzte, alles schmerzte.
»Nein.« Nun kroch ein winziger Vorwurf in ihre Stimme:
»Eigentlich hatte ich eher den Eindruck, daß du mich nicht mehr sehen wolltest… weder in der Schule noch abends, weil du ja dann immer in der Werkstatt bist und an deinem Wagen bastelst.«
»Der ist inzwischen fertig«, sagte er. Und dann, mit einer gewaltigen Anstrengung: »Es ist wegen des Wagens, daß ich dich… a-auuu, gottverflucht!« Er griff sich an den Rücken, wo er wieder einen rasenden Schmerz spürte, aber er bekam nichts anderes zu fassen als Klebeverband.
»Arnie?« fragte sie alarmiert. »Geht es dir nicht gut?«
»Es geht schon wieder. Es ist nur mein Rücken.«
»Was wolltest du eben sagen?«
»Ich wollte sagen, daß wir morgen nach Baskin-Robbins fahren, dort Eiscreme essen, anschließend vielleicht einen Weihnachtsbummel machen, zu Abend essen, und um sieben bist du wieder zu Hause. Ich werde auch nicht unheimlich sein, das verspreche ich.«
Sie lachte ein wenig, und Arnie fühlte sich unglaublich erleichtert. Es war wie Balsam. »Du Dummkopf.«
»Bedeutet das, du sagst zu?«
»Ja, das bedeutet es.« Leigh schwieg einen Moment und fügte dann mit sanfter Stimme hinzu: »Ich sagte dir doch, meine Eltern sind dagegen, daß ich dich zu oft sehe. Aber ich habe nicht gesagt, daß ich etwas dagegen hätte.«
»Danke«, sagte er, und er mußte sich bemühen, seine Stimme ruhig zu halten. »Vielen Dank dafür.«
»Worüber willst du denn mit mir reden?«
Christine. Ich möchte mit dir über Christine reden - und über meine Träume. Und warum ich wie ausgespuckt aussehe. Und weshalb ich immer nur WDIL hören möchte, und was ich damals in der Nacht tat, als keiner mehr in der Werkstatt war… Damals in der Nacht, als ich mich am Rücken verletzte. Oh, Leigh, ich möchte…
Wieder dieser sengende Schmerz im Rücken. Wie von Raub-katzenpranken.
»Worüber ich mit dir reden wollte? Das habe ich dir doch gerade eben gesagt«, erwiderte er.
»Oh.« Eine kurze, warme Pause. »Gut.«
»Leigh?«
»Hmm?«
»Ich werde jetzt viel mehr Zeit für dich haben. Das verspreche ich dir. So viel Zeit, wie du möchtest.« Und dann dachte er: Denn jetzt, da Dennis im Krankenhaus liegt, habe ich nur noch dich, bist du allein zwischen mir… mir und…
»Nett von dir«, sagte Leigh.
»Ich liebe dich.«
»Bis morgen, Arnie.«
Sag es, daß du mich auch liebst! wollte er plötzlich ins Telefon rufen. Sag es mir! Ich brauche das!
Doch da war nur noch das Klicken in seinem Ohr.
Er blieb lange mit gesenktem Kopf an Wills Schreibtisch
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