Dokument1
erwidert, ihren juristischen Erfahrungsschatz anzapfend, den sie den Krimiserien des Fernsehens verdankte.
Warberg, der nicht gerade begeistert war von seinem Flug nach Albany, da er eigentlich bei der Lektüre eines Buches zu Hause einen ruhigen Abend hatte verbringen wollen, gab energisch zurück: »Ich würde an Ihrer Stelle Gott auf den Knien danken, daß sie Ihren Sohn nur mit einer Blanko-Vollmacht festhalten. Denn sie haben Ihren Sohn mit einem Kofferraum voll unversteuerter Zigaretten gestellt, und falls ich die Beamten unter Druck setze, würden sie nur zu gern gezielte Anklage erheben, Mrs. Cunningham. Ich gebe Ihnen und Ihrem Mann den dringenden Rat, sich nach Albany zu bemühen. Rasch.«
»Ich dachte, Sie sagten eben, er würde morgen nach Pennsylvania ausgeliefert…«
»O ja, das ist bereits in die Wege geleitet. Wenn wir mit harten Bandagen kämpfen müssen, dann besser vor heimi-schem Publikum in unserem eigenen Gericht. Die Auslieferung ist nicht das Problem, Mrs. Cunningham.«
»Was ist es dann?«
»Die Leute von der Polizei wollen Domino spielen. Ihr Sohn ist gewissermaßen der erste Dominostein einer langen Kette.
Sie wollen ihn umwerfen, damit er Will Darnell umstößt.
Arnold redet nicht. Deshalb möchte ich, daß Sie mit Ihrem Mann herkommen und Ihren Sohn überzeugen, es ist nur in seinem Interesse, wenn er redet.«
»Ist es das?« fragte sie zögernd.
»Himmel, selbstverständlich ist es das!« schnaubte Warberg.
»Der Polizei liegt doch nichts daran, Ihren Sohn ins Gefängnis zu bringen. Er ist noch minderjährig, er stammt aus einer guten Familie, hat keinerlei Vorstrafen, nicht einmal einen schriftlichen Verweis von seiner Schule. Er kann hier raus, ohne einen Richter zu sehen. Aber er muß reden.«
So waren sie nach Albany gefahren, und Regina wurde durch einen schmalen, kurzen Korridor geführt, weiß gekachelt, von hochleistigen Glühlampen grell ausgeleuchtet. Es roch nach Lysol und Urin, und sie versuchte sich beständig einzuhämmern, daß ihr Sohn hier festgehalten wurde, niemand anderer als ihr Sohn; doch diese Autosuggestion war ein hartes Stück Arbeit. Es kam ihr so unwahrscheinlich vor, daß das wahr sein sollte. Die Möglichkeit einer Halluzination schien ihr weitaus realistischer zu sein.
Als sie Arnie sah, schwand diese Möglichkeit. In den Schock konnte sie nicht fliehen, und so spürte sie nur eine kalte, verzehrende Furcht. Es war in diesem Moment, daß sie sich an die Idee des »Über das hinwegschaukeln« klammerte, wie sich ein Ertrinkender an einen Rettungsring klammert. Es war Arnie, es war ihr Sohn, nicht in einer Gefängniszelle (das war die einzige Demütigung, die man ihr erspart hatte; doch sie war inzwischen dankbar für den kleinsten Gunstbeweis), sondern in einem kleinen quadratischen Raum, dessen einzige Möbelstücke zwei Stühle und ein Tisch waren, der die Wundmale zahlloser auf ihm ausgedrückter Zigarettenkippen trug.
Arnie hatte sie unverwandt angesehen, sein Gesicht wirkte schrecklich abgezehrt, totenschädelähnlich. Er war erst vor einer Woche beim Friseur gewesen und hatte sich dort das Haar überraschend kurz schneiden lassen (nachdem er es, dem Vorbild von Dennis folgend, die ganze Zeit lang getragen hatte), und nun brannte das grelle Licht der Deckenlampe erbarmungslos auf die kurzen Borstenhaare herunter, so daß er in diesem Augenblick fast kahlköpfig wirkte, als hätte man ihm eine Glatze geschoren, um seine Lippen zu öffnen.
»Arnie«, sagte sie und ging auf ihn zu - halbwegs auf ihn zu.
Er wandte den Kopf zur Seite, preßte die Lippen fest zusammen, und da verharrte sie mitten im Schritt. Eine andere Frau wäre in Tränen ausgebrochen; aber Regina war keine andere Frau. Sie wappnete sich daher wieder mit eiskalter Selbstbeherrschung und stimmte ihre Haltung darauf ab. Die Kälte war nun ihre einzige Hilfe.
Statt ihn zu umarmen - was er offensichtlich nicht wünschte -, setzte sie sich an den Tisch und trug ihm vor, was getan werden mußte. Er weigerte sich. Sie befahl ihm, mit der Polizei zu reden. Er weigerte sich. Sie forderte ihn auf, sich ihre Argumente anzuhören. Er weigerte sich. Sie flehte ihn an. Er weigerte sich. Schließlich saß sie nur noch abgekämpft und niedergeschlagen da, geplagt von einem Migräneanfall, und fragte ihn, warum. Er weigerte sich, ihr den Grund zu nennen.
»Und ich dachte, du wärst intelligent!« rief sie. Sie war halb wahnsinnig vor Enttäuschung; sie haßte es über alle Maßen, sich
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