Dokument1
nicht durchsetzen zu können, wenn es unbedingt nach ihrem Kopf gehen mußte - wenn es eine absolute Notwendigkeit war, ihren Willen durchzusetzen. So etwas war ihr tatsächlich nicht mehr passiert, seit sie ihr Elternhaus verlassen hatte. Bis jetzt.
Sie hätte vor Wut aus der Haut fahren können, als der Junge, der Milch aus ihrer Brust getrunken hatte, sie so locker abpral-len ließ. »Ich dachte, du wärst intelligent, aber du bist dumm!
Du bist ein … Arschloch! Sie werden dich ins Gefängnis stek-ken! Willst du für diesen Darnell ins Gefängnis wandern? Ist es das, was du willst? Er wird sich totlachen über dich!« Regina konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, und daß es ihrem Sohn offensichtlich vollkommen gleich war, ob sich jemand über ihn totlachte oder nicht, brachte sie nur noch mehr in Rage.
Sie erhob sich von ihrem Stuhl und schob sich die Haare aus Stirn und Augen - die unbewußte Geste eines Menschen, der zum Kampf bereit ist. Ihr Gesicht war gerötet, ihr Atem ging flach und schnell. Arnie kam sie gleichzeitig jünger und viel, viel älter vor, als er sie je gesehen hatte.
»Ich tue es nicht für Darnell«, sagte er ruhig, »und ich gehe auch nicht ins Gefängnis.«
»Wer bist du eigentlich? Oliver Wendell Holmes?« gab sie wütend zurück, doch ihr Ärger war bis zu einem gewissen Grad von dem Gefühl der Erleichterung temperiert. Wenigstens hatte er etwas gesagt. »Sie haben dich mit Darnells Wagen erwischt, den Kofferraum mit Zigaretten beladen. Mit illegalen Zigaretten!«
Arnie erwiderte mit müder Stimme: »Sie befanden sich nicht im Kofferraum, sondern in einem Fach unter dem Kofferraum.
Einem Geheimfach. Und es war Wills Wagen. Will sagte mir, ich sollte den Wagen nehmen.«
Sie sah ihn an.
»Willst du damit behaupten, du hättest nicht gewußt, daß die Zigaretten da waren?«
Arnie sah sie mit einem Ausdruck an, den sie unmöglich akzeptieren konnte. Es war ein Zug, der seinem Gesicht vollkommen fremd war - ein Ausdruck der Verachtung. Gut wie Gold, mein Junge ist so gut wie Gold, dachte sie absurd.
»Ich wußte es, und Will wußte es. Aber sie müssen es mir erst beweisen, nicht wahr?«
Sie konnte ihn nur verblüfft ansehen.
»Wenn sie es mir aber trotzdem anhängen können«, fuhr er fort, »werde ich höchstens auf Bewährung verurteilt.«
»Arnie«, sagte sie, »du denkst nicht logisch. Vielleicht ist dein Vater…«
»Doch«, unterbrach er sie, »ich denke durchaus logisch. Ich weiß nicht, wie du denkst, aber ich denke sehr geradeaus.«
Und dabei hatte er sie angesehen, und seine grauen Augen waren so entsetzlich leer, daß sie seine Gegenwart nicht mehr länger ertragen konnte und gehen mußte.
In dem kleinen grünen Wartezimmer ging sie blind an ihrem Mann vorbei, der mit Warberg zusammen auf einer Bank saß.
»Geh du hin«, sagte sie, »versuch du, ihm Vernunft beizubrin-gen.« Sie ging weiter, ohne seine Antwort abzuwarten, und sie blieb erst stehen, als sie draußen im Freien war, in der kalten Dezemberluft, die ihre heißen Wangen mit tiefer Röte überzog.
Michael ging und hatte nicht mehr Glück als Regina; .er kam mit einer trockenen Kehle und einem Gesicht heraus, das zehn Jahre älter aussah als jenes, mit dem er vor zehn Minuten hineingegangen war.
Im Motel berichtete Regina dem Anwalt Warberg, was Arnie zu ihr gesagt hatte, und fragte ihn, ob das sein könnte.
Warberg sah sie nachdenklich an: »Ja, das wäre eine mögliche Verteidigung«, räumte er ein. »Aber sie wäre viel möglicher, wenn Arnie der erste Dominostein wäre. Er ist es aber nicht mehr. In Albany gibt es einen Gebrauchtwagenhändler mit Namen Henry Buck. Er sollte wohl die illegale Ware in Empfang nehmen. Er wurde ebenfalls verhaftet.«
»Und was hat er ausgesagt?« fragte Michael.
»Ich habe keine Ahnung. Ich habe mit seinem Anwalt gesprochen, und der hat mir auch nichts gesagt. Das ist ein schlechtes Zeichen. Wenn Bück auspackt, wird er Arnie belasten. Ich verwette mein Haus und Grundstück, daß Bück bezeugen kann, Ihr Sohn hätte das Geheimfach gekannt. Und dann sieht es schlimm für ihn aus.«
Warberg sah die beiden Cunninghams eindringlich an.
»Sehen Sie, was Ihr Sohn sagt, ist nicht so intelligent, wie er glaubt, Mrs. Cunningham. Ich werde morgen früh noch einmal mit ihm reden, ehe er den Behörden in Pennsylvania überstellt wird. Ich hoffe, daß ich ihm begreiflich machen kann, daß alles über seinem Kopf abgeladen werden könnte.«
Die ersten Schneeflocken
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