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Dokument1

Dokument1

Titel: Dokument1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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tun.
    Immer wieder hatte er nachgedacht über das, was er in jener Nacht gesehen hatte - oder glaubte, gesehen zu haben. Immer wieder hatte er versucht, sich einzureden, daß das Erlebte absolut irreal war - oder nicht.
    Er hatte Arnie seit der Razzia nicht mehr gesehen, auch nicht versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Zuerst hatte er mit dem Gedanken gespielt, seine Kenntnisse über Christine als Druck-mittel zu benutzen, daß Arnie den Mund hielt, falls er schwach zu werden drohte und sich mit einer Aussage entlasten wollte -
    Himmel, als Kronzeuge konnte der Junge ihn tatsächlich ein paar Jahre ins Gefängnis schicken. Erst, als die Polizei an allen Stellen zugleich zugepackt hatte, war es Will aufgegangen, wieviel der Junge tatsächlich wußte, und ein paar panische Sekunden lang war er in sich gegangen (ein seltsam beunruhigender Moment, weil dieser Zustand seiner Natur so fremd war) und hatte sich gefragt: Hatten denn alle so viel von seinen Geschäften gewußt? Repperton, zum Beispiel, und die endlose Galerie wahlverwandter Typen, die er seit Jahrzehnten für seine Botengänge verwendet hatte? Konnte er tatsächlich so dumm gewesen sein?
    Nein, entschied er. Es war nur Cunningham gewesen. Weil Cunningham anders war. Er schien die wesentlichen Zusammenhänge fast intuitiv zu erfassen. Er war kein Aufschneider, kein Junkie, kein Trinker. Auf eine seltsame Art empfand Will fast väterliche Gefühle für diesen Jungen - obwohl er nicht eine Sekunde gezögert hätte, den Jungen über Bord zu werfen, wenn er merkte, daß das Boot von seiner Schaukelei zu kentern drohte. Nein, ich würde auch jetzt nicht zögern, beruhigte er sich.
    Auf der Mattscheibe entdeckte ein schwarz-weißer Scrooge sein Herz für die Armen. Der Film war fast zu Ende. Die Runde, in der er jetzt Weihnachten feierte, sah aus wie eine Horde Schwachsinniger, aber Scrooge sah noch am schlimmsten aus. Der Ausdruck irrsinniger Freude in seinen Augen erinnerte Will an den funkelnden Blick eines Burschen namens Everett Dingle, den er vor zwanzig Jahren gekannt hatte. Der Typ war eines Nachmittags von seiner Arbeitsstelle nach Hause gegangen und hatte Frau und Kinder umgebracht.
    Will zündete sich eine Zigarre an. Ihm war alles recht, wenn es nur diesen widerlichen Geschmack in seinem Hals tötete, den Geschmack des Inhalators. In jüngster Zeit fiel es ihm schwerer denn je, sich die Lungen voller Sauerstoff zu pumpen. Die verdammten Zigarren halfen nicht; aber er war zu alt, um es sich jetzt noch abzugewöhnen.
    Der Junge hatte nicht geredet - jedenfalls noch nicht. Aber sie hatten Henry Bück umgedreht, hatte Wills Anwalt berichtet; Henry, der bereits dreiundsechzig war und Großvater, würde auch Jesus Christus dreimal verleugnet haben, wenn man ihm dafür Straffreiheit oder Bewährung in Aussicht stellte. Der alte Henry spuckte nun alles aus, was er wußte, und das war zum Glück nicht sehr viel. Er war an dem Schmuggel mit Feuerwerkskörpern und unversteuerten Zigaretten beteiligt gewesen, doch das waren nur zwei von den sechs oder zuweilen sieben Schmuggel-und Hehlerringen, die zu seinem Zirkus gehörten; Alkohol, heiße Autos, Waffen, (wozu auch ein paar Maschinengewehre gehörten, die er an Waffennarren und blut-rünstige Jäger verhökert hatte, die sich davon überzeugen wollten, ob so eine »Kugelspritze« tatsächlich einen Elch in Stücke reißen kann, daß er in die Gefriertruhe paßt) und gestohlenen Antiquitäten aus New England. Und in den letzten zwei Jahren auch noch Kokain. Das war ein Fehler gewesen, wußte er jetzt. Diese Kolumbianer dort unten in Miami, von denen er den Koks bezog, waren so verrückt wie Scheißhaus-ratten. Nicht auszüdenken, wenn sie den Jungen mit einem Pfund Koks erwischt hätten.

    Trotzdem würden sie ihm diesmal auf die Zehen steigen, wie kräftig, hing größtenteils von diesem unheimlichen siebzehn-jährigen Jungen ab und vielleicht auch von seinem unheimlichen Wagen. Die Dinge befanden sich in so einem empfindli-chen Gleichgewicht wie ein Kartenhaus, und deshalb wollte Will auch nichts unternehmen. Ein falsches Wort, und sein Kartenhaus brach zusammen.
    Will stand auf, die Zigarre zwischen die Zähne geklemmt, und schaltete den Fernsehapparat aus. Vielleicht sollte er vor dem Zubettgehen noch einen Brandy trinken. Er war immer müde, aber einschlafen konnte er trotzdem nicht gut.
    Er wollte zur Küche gehen, als draußen der Wagen zu hupen begann - kurze, befehlende Fanfarenstöße, die das Heulen

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