Dokument1
daß es mir einfach herausrutschte - fügte ich hinzu: »Wie damals in der Fahrbereitschaft.«
»Ja, du hast recht!« erwiderte Arnie lachend. »Großartig! Wir sehen uns dann, Dennis.«
»Klar«, erwiderte ich automatisch. »Bis nachher.« Ich legte auf, starrte auf das Telefon, und dann begann ich plötzlich am ganzen Körper zu zittern. Ich hatte noch nie in meinem Leben solche Angst gehabt. Die Zeit vergeht: Der Verstand füllt seine Verteidigungslinien auf. Ich glaube, einer der Gründe, weshalb wir so wenig überzeugende Beweise für psychische Phänomene besitzen, besteht darin, daß der Verstand sich sofort an die Arbeit macht und die Beweise umstrukturiert. Ein bißchen Mogelei ist immer noch besser als eine Menge Wahnsinn.
Später bezweifelte ich, was ich gehört hatte, oder redete mir jedenfalls ein, daß Arnie meine Bemerkung mißverstanden hatte. Doch in den ersten Sekunden, nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte, war ich mir sicher: LeBay hatte sich in ihm eingenistet. Irgendwie - tot oder nicht -, LeBay war jetzt in ihm.
Und LeBay war dabei, das Kommando zu übernehmen.
Silvester war kalt und kristallklar. Mein Dad setzte mich um viertel nach sieben bei den Cunninghams ab und half mir zur Hintertür - Krücken waren im Winter oder auf vereisten Wegen nicht geeignet.
Der Kombiwagen der Cunninghams war nicht da; doch Christine parkte in der Einfahrt, das leuchtende Rot-Weiß noch verstärkt durch den Spiegelglanz der Eiskristalle auf dem kalten Blech. Sie war erst in dieser Woche zusammen mit den anderen beschlagnahmten Wagen freigegeben worden. Man brauchte sie nur anzusehen, und schon überkam einen das dumpfe Gefühl einer Gefahr wie ein Kopfschmerz. Ich wollte nicht in diesem Wagen nach Hause gebracht werden, nicht heute, nicht irgendwann. Ich wollte mit meinem ganz gewöhnlichen, fließ-
bandproduzierten Duster fahren, mit seinen ganz gewöhnlichen Plastiksitzen und dem Stoßstangen-Aufkleber DIENST-WAGEN DER MAFIA.
Das Verandalicht ging an, und wir sahen Arnie als Silhouette hinter der Türscheibe, als er durch den Flur kam. Er sah nicht einmal mehr aus wie Arnie. Seine Schultern hingen herab.
Seine Bewegungen erschienen älter. Ich sagte mir, das bildest du dir alles nur ein; dein Mißtrauen spielt dir einen Streich. Du hast ‘ne Macke … und du weißt es.
Er öffnete und beugte sich, bekleidet mit einem alten Flanell-hemd und einer blauen Jeanshose, vor. »Dennis!« sagte er.
»Guter Junge!«
»Hi, Arnie«, sagte ich.
«Hallo, Mr. Guilder.«
»Hi, Arnie«, sagte mein Vater und hob eine behandschuhte Hand. »Wie geht es dir denn so?«
»Nun, wissen Sie, nicht so großartig. Aber das wird sich alles ändern. Neues Jahr, neues Glück; raus mit dem alten Mist, rein mit dem neuen Mist. Stimmt’s?«
»Ja«, erwiderte mein Vater mit leicht befremdeter Stimme.
»Dennis, bist du sicher, daß ich dich nicht abholen soll?«
Nichts wäre mir lieber gewesen als das; doch Arnie blickte mich an, den Mund noch zu einem Lächeln verzogen, aber mit einem lauernd wachsamen Ausdruck in den Augen. »Nein, Arnie wird mich nach Hause bringen … wenn diese Rostlaube anspringt, heißt das.«
»Oh, paß auf, daß du meinen Wagen nicht beleidigst«, warnte Arnie. »Sie ist sehr empfindlich.«
»Ist sie das?« fragte ich.
»Das ist sie«, sagte Arnie lächelnd.
Ich drehte den Kopf zur Seite und rief: »Entschuldigung, Christine.«
»Das ist schon besser.«
Einen Augenblick lang standen wir uns so gegenüber, mein Vater und ich am Fuß der Hintertreppe, Arnie im Türrahmen, und keiner von uns wußte offenbar, was er als nächstes sagen sollte. Ich spürte eine Art von Panik in mir aufsteigen - jemand mußte etwas sagen oder sonst würde diese ganze lächerliche Einbildung, daß sich nichts geändert hätte, unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen.
»Okay«, brummelte mein Vater schließlich. »Daß ihr beiden mir nüchtern bleibt! Falls du mehr getrunken hast als zwei Flaschen Bier, Arnie, ruf mich lieber an.«
»Machen Sie sich keine Sorgen, Mr. Guilder.«
»Wir kommen schon zurecht«, sagte ich. Mein Grinsen fühlte sich so unecht wie Plastik an. »Fahr du mal nach Hause und halte deinen Schönheitsschlaf, Dad. Du kannst ihn gebrauchen.«
»Oh-ho«, erwiderte mein Vater. »Paß auf, daß du mein Gesicht nicht beleidigst. Es ist sehr empfindlich.«
Er ging zurück zu seinem Wagen.
Ich stand da und sah ihm nach, die Krücken in die Achselhöhlen gestemmt. Ich beobachtete ihn, wie er
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