Dokument1
laufen und unterhielten uns. Ich berichtete Arnie von meiner Rehabilitationstherapie und wie ich jetzt mit Gewichten trainierte, und nach dem zweiten Bier gestand ich ihm, daß ich manchmal fürchtete, ich könnte nie mehr richtig gehen. Daß ich niemals mehr Football spielen würde, störte mich nicht; aber das mit dem Laufen bereitete mir Sorgen. Er war ein mitfühlender Zuhörer und nickte verständnisvoll.
Ich sollte an dieser Stelle abbrechen und Ihnen gestehen, ich hätte in meinem ganzen Leben noch nie einen so sonderbaren Abend verbracht. Es sollten noch schlimmere Dinge auf mich zukommen; aber nichts war so seltsam, so … so zerrissen wie dieser Abend. Als würde ich in einem Kino sitzen und einen nicht ganz scharf eingestellten Film auf der Leinwand betrachten. Manchmal wirkte er auf mich wie der echte Arnie, doch gleich darauf war er Arnie überhaupt nicht mehr ähnlich. Er hatte Angewohnheiten entwickelt, die ich früher nie bei ihm bemerkt hatte - er ließ unentwegt die Wagenschlüssel an der Kette über seine Finger kreisen, er ließ die Knöchel knacken, und zuweilen biß er sich mit den oberen Schneidezähen in den Daumenballen. Da war diese Bemerkung, als er seine zerknüllte Bierdose in den Abfallkorb geworfen hatte. Und obwohl er schon fünf Bier intus hatte, als ich erst bei meinem zweiten war, und sie nacheinander leerte, schien er noch immer nicht betrunken zu sein.
Und da gab es auch Angewohnheiten, die typisch für Arnie gewesen waren und die anscheinend völlig verschwunden waren: das rasche nervöse Zupfen am Ohrläppchen, wenn er redete; das plötzliche Ausstrecken seiner langen Beine, das er mit einem kurzen Übereinanderlegen der Füße beendete; seine Gewohnheit, durch gespitzte Lippen zischend den Atem abzulassen, statt mit offenem Mund zu lachen, wenn ihn etwas erheiterte. Letzteres machte er ein- oder zweimal. Aber in den weitaus meisten Fällen äußerte er sein Amüsement mit einem schrillen Kichern, das ich mit LeBay in Verbindung brachte.
Das Silvester Special endete um elf, und Arnie suchte auf den Kanälen, bis er eine Tanzparty in einem New Yorker Hotel erwischte, gelegentlich unterbrochen von Umschaltungen zum Times Square, wo sich bereits eine große Menschenmenge angesammelt hatte. Es war zwar nicht Guy Lombarde, aber trotzdem ganz gut.
»Du willst also wirklich nicht aufs College?« fragte ich.
»Nicht in diesem Jahr. Christine und ich wollen gleich nach der Abschlußprüfung nach Kalifornien. An die goldene Küste.«
»Wissen das deine Eltern schon?«
Er schien bei meiner Frage zu erschrecken. »Himmel, nein!
Und verrate ihnen das bloß nicht! Das kann ich so wenig gebrauchen wie einen Pariser!«
»Und was willst du dort anfangen?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich such’ mir einen Job als Automechaniker. Darin bin ich so gut wie in allem anderen.«
Und dann verblüffte er mich mit seinem fast beiläufigen Zusatz:
»Ich hoffe, ich kann Leigh überreden, mitzukommen.«
Ich verschluckte mich an dem Bier, fing an zu husten und spuckte mir das Zeug auf die Hose. Arnie schlug mir zweimal kräftig auf den Rücken. »Okay?«
»Klar«, brachte ich zustande. »Hab’ das Zeug nur in den falschen Hals gekriegt. Arnie … wenn du glaubst, sie ginge mit dir, mußt du in einer Traumwelt leben. Sie hat schon die Zusage von der Pennsylvania University.«
Seine Augen zogen sich sofort zusammen, und ich hatte das deprimierende Gefühl, das Bier habe meine Zunge mehr gelok-kert, als mir guttat.
»Woher weißt du so viel über mein Mädchen?«
Plötzlich war es mir so, als wäre ich auf einem Feld abgesetzt worden, das mit Tretminen gespickt war. »Sie redet über nichts anderes, Arnie.«
»Na, prima. Du drängst dich doch wohl nicht dazwischen, Dennis?« Er betrachtete mich scharf, die Augen argwöhnisch zu Schlitzen verengt. »Du würdest doch so etwas nicht tun, nicht wahr?«
»Nein«, log ich ihm voll ins Gesicht. »Schlimm, daß du mir so etwas überhaupt zutraust.«
»Woher weißt du denn so viel von ihren Plänen?«
»Wir sehen uns«, sagte ich. »Wir reden über dich.«
»Sie redet über mich?«
»Ja, ein bißchen«, antwortete ich leichthin. »Sie erzählte mir, daß ihr beiden euch wegen Christine gestritten hättet.«
Ich hatte das Richtige getroffen. Er entspannte sich. »Das war doch nichts. Nichts Ernstes. Sie wird sich schon wieder beruhigen. Und es gibt ja auch in Kalifornien gute Schulen, wenn sie unbedingt studieren möchte. Wir werden heiraten,
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