Dokument1
brauchen Liebende ihre Geheimnisse… aber das war kein gutes Geheimnis. Es war etwas Kaltes, Unnatürliches, etwas, das nach Wahnsinn schmeckte und nach schlimmerem als Wahnsinn; es schmeckte nach Verwesung. Es gab Nächte, wo wir nach dem Liebesakt nackt, Bauch an Bauch, im Bett lagen, und dann war es zwischen uns: Roland D.LeBays Gesicht. Und wenn ich ihren Mund küßte oder ihre Brüste oder ihren Bauch, wohlig und warm in dem Gefühl steigender Erregung, hörte ich plötzlich seine Stimme: Das ist ungefähr der schönste Geruch in der Welt…
außer Pussy. Und dann erstarrte ich, und meine Leidenschaft verwandelte sich in Dampf und Asche.
Weiß Gott, es gab Zeiten, wo ich es auch in ihrem Gesicht lesen konnte. Denn Liebespaare leben nicht immer nur glücklich bis zum Ende, selbst dann nicht, wenn sie gemeinsam eine gute Tat vollbrachten, so gut sie es eben konnten. Das ist auch etwas, wozu wir vier Jahre brauchten, um es zu begreifen.
So lebten wir uns auseinander. Ein Geheimnis braucht zwei Gesichter, zwischen denen es hin- und herspringen kann; ein Geheimnis muß sich in dem anderen Augenpaar spiegeln können. Und obwohl ich sie liebte, all diese Küsse, all diese Liebkosungen, all diese Spaziergänge Arm in Arm durch leuchtend bunte Oktoberblätter… nichts von diesen Dingen konnte sich auch nur annähernd mit diesem großartig schlichten Akt messen, als sie mir ihr Tuch um den Arm band.
Leigh verließ das College, um zu heiraten, und das bedeutete Lebewohl, Drew, und Hallo, Taos. Ich fuhr ohne große Gewis-sensbisse zu ihrer Hochzeit. Ein netter Bursche. Fuhr einen Honda Civic. Keine Probleme.
Ich brauchte mir auch keine Sorgen wegen der Football-Mannschaft zu machen. Drew besaß nicht mal eine Football-Mannschaft. So belegte ich in jedem Semester Sonderkurse und besuchte auch zwei Jahre lang während der Sommerferien die Förderkurse, statt schwitzend mit Sturzhelm und wattierter Jacke unter der heißen Augustsonne den Sandsack zu attak-kieren. Als Folge davon machte ich mein Abschlußexamen früher - sogar drei Semester früher.
Wenn Sie mir auf der Straße begegnen, würden Sie kein Humpeln bemerken; aber wenn Sie vier oder fünf Meilen weit neben mir hergehen (ich mache selbstverständlich jeden Tag einen Spaziergang von mindestens drei Meilen; so eine Rehabilitationstherapie bleibt an einem hängen), würde Ihnen schon auffallen, daß ich ein bißchen nach rechts ziehe. Mein linkes Bein schmerzt an Regentagen. Und in Schneenächten.
Und zuweilen, wenn ich meine Alpträume habe - sie sind in jüngster Zeit nicht mehr so häufig -, wache ich auf, in Schweiß gebadet und mit beiden Händen mein Bein umklam-mernd, wo heute noch eine harte, beulenartige Fleischwuche-rung über dem Knie zu sehen ist. Aber all meine Sorge, ich könnte ohne Rollstuhl, Stützkorsett und orthopädische Schuhe nicht mehr leben, erwies sich zum Glück als unbe-gründet. Und so sehr habe ich mich für Football sowieso nicht begeistert.
Michael, Regina und Arnie Cunningham waren in einem Familiengrab auf dem Friedhof der Oberstadt von Libertyville beigesetzt - nur Verwandte nahmen an der Beerdigung teil: Reginas Schwester und Schwager aus Ligonier, ein paar Verwandte von Michael, die aus New Hampshire und New York gekommen waren, und noch ein paar andere.
Die Beerdigung fand fünf Tage nach dem höllischen Finale bei Darnell statt. Die Särge waren geschlossen. Allein der Anblick dieser drei hölzernen Särge, die wie Soldaten auf einer dreifachen Bahre aufgereiht waren, traf mein Herz wie eine Schaufel kalter Erde. Die Erinnerung an die Ameisen-Farmen konnte vor dieser stummen Demonstration der drei Särge nicht standhalten. Ich weinte ein bißchen.
Danach fuhr ich mit dem Rollstuhl durch die Aussegnungs-halle und legte meine Hand zaghaft auf den Sarg in der Mitte, ohne zu wissen, in welchem Arnie lag, und es nur auch eigentlich nicht so wichtig war. Ich verharrte eine ganze Weile so, den Kopf gesenkt vor den Särgen, bis eine Stimme hinter mir sagte: »Soll ich dich hinausschieben, Dennis?«
Ich drehte den Kopf. Hinter mir stand Mercer und sah in seinem dunklen Anzug attraktiv und zugleich bedrohlich aus.
»Gerne«. »Geben Sie mir noch ein paar Sekunden.«
»Okay.«
Ich zögerte und sagte dann: »In den Zeitungen stand, daß Michael vor seinem Haus getötet wurde. Daß der Wagen ihn überrollt hätte, als er auf dem eisigen Boden ausrutschte.«
»Ja«, sagte er.
»War das Ihr Werk?«
Mercer überlegte. »Es
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