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Dokument1

Dokument1

Titel: Dokument1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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bog, und gingen dann gemächlich weiter.
    »Als Buddy Repperton mich mit dem Messer bedrohte, hatte ich eine Heidenangst«, sagte Arnie mit leiser Stimme.
    Lächelnd, aber ernst fuhr er fort: »Ich hätte mir fast in die Hosen gemacht, so war mir in diesem Augenblick zumute. Ich habe LeBays Wort benutzt, ohne darüber nachzudenken. Aber auf Repperton trifft es zu, was?«
    »Ja.«
    »Jetzt muß ich aber gehen«, sagte Arnie. »Wir haben erst sphärische Geometrie, dann den Mechanikerkurs für Fortgeschrittene. Ich habe den ganzen Kursus in den letzten zwei Monaten schon mit Christine durchgepaukt.« Er eilte davon, und ich stand noch mindestens eine halbe Minute mitten im Korridor und sah ihm nach. Montags nach dem Mittagessen hatte ich Stillarbeit unter der Aufsicht von Miß Ratten-Pack. Ich könnte mich heimlich zur letzten Bank schleichen, sie würde es vielleicht gar nicht bemerken. Außerdem schaut man bei Senioren vor der Prüfung schon mal durch die Finger.
    Ich stand da und versuchte, dieses würgende Gefühl der Angst loszuwerden, das sich nie mehr so formlos oder unbestimmt in mir regen sollte wie in diesem Augenblick. Da braute sich etwas Unheilvolles zusammen. Mir lief es kalt den Rücken hinunter, und die Oktobersonne konnte mich nicht wärmen.
    Alles war wie früher, aber es würde sich bald ändern - ich spürte es.
    Ich stand da und versuchte, meine Fassung wiederzugewinnen, redete mir ein, daß dieses panische Angstgefühl mit der Ungewißheit über meine eigene Zukunft zusammenhängen konnte und daß ich mir zuviel Angst um diesen Wendepunkt machte. Vielleicht gehörte das auch dazu. Aber es war beileibe nicht alles: Ich weiß gar nicht, was dir an dieser Scheißkarre so sehr gefällt, mein Junge. Mr. Leheureux kam aus dem Lehrerzimmer zurück, und ich setzte mich in Bewegung.
    Ich glaube, daß jeder Mensch in seinem Kopf einen Spaten hat, den er in kritischen Momenten seines Lebens dazu benutzen kann, auf dem Grund seines Bewußtseins einen Graben auszu-heben, in den er dann alles hineinwirft, was ihn belästigt oder quält. Weg mit dem Zeug. Beerdige es. Nur schlägt der Spaten auch die Deckschicht des Unterbewußtseins auf, und zuweilen wird das Zeug, was man in den Graben geschüttet hat, in den Träumen lebendig. Ich träumte in dieser Nacht wieder von Christine. Arnie saß diesmal am Steuer und neben ihm auf dem Beifahrersitz die verwesende Leiche von Roland D. LeBay, als der Wagen aufröhrend aus der Garage hervorschoß und mich mit dem gleißenden Licht seiner Scheinwerfer nicht mehr losließ.
    Ich wachte auf, das Kopfkissen gegen mein Gesicht gepreßt, um meine Schreie zu ersticken.

19 Der Unfall
    Tach it up; tach it up,
    Buddy, gonna shut you down…
    - The Beach Boys
    Es war mein letztes Gespräch mit Arnie vor dem Erntedankfest, denn am folgenden Samstag hatte ich meinen Unfall. An diesem Tag spielten wir abermals gegen die Ridge-Rock-Bären, und diesmal verloren wir mit dem wahrhaft verheerenden Ergebnis von 46:3. Allerdings erlebte ich das Ende dieses Desasters nicht mehr. Ungefähr sieben Minuten im dritten Viertel waren vorbei, als ich mich aus dem Gedränge einer Spielertraube befreien konnte, den Ball zugeworfen bekam und über das Feld preschte. Mitten im Spurt wurde ich von drei Verteidigern der Bären mit einem simultanen dreifachen Body-Check in die Zange genommen. Ich spürte einen entsetzlichen Schmerz - wie eine grelle Stichflamme, als würde direkt über mir eine Atombombe gezündet. Dann nur noch Finsternis.
    Die Finsternis hielt ziemlich lange an, obwohl sie mir selbst nicht lange vorkam. Ich war ungefähr fünfzig Stunden bewußtlos, und als ich am Montag, dem dreiundzwanzigsten Oktober, am späten Nachmittag wieder aufwachte, befand ich mich im Libertyville Community Hospital. Dad und Mom waren da, auch Ellie, die ziemlich blaß und elend aussah. Sie hatte dunkelbraune Ringe unter den Augen, was mich zutiefst rührte, denn trotz der vielen Kartoffelchips und Käsestangen, die ich ihr aus der Brotlade wegstibitzt hatte, wenn sie zu Bett gegangen war, hatte sie es fertiggebracht, meinetwegen Trä-
    nen zu vergießen. Trotz der Schaumgummipolster, die ich ihr bei Woolworth gekauft hatte, nachdem sie - zwölf Jahre alt -
    eine Woche lang im engsten T-Shirt vor dem Spiegel gestanden hatte, um zu überprüfen, ob ihre Brüste inzwischen grö-
    ßer geworden waren (sie war heulend zu meiner Mutter gelaufen, die das damals gar nicht als Spaß aufgefaßt hatte und mich zwei

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