Dolce Vita, süßer Tod: Kriminalroman (Inspektor Stucky) (German Edition)
die Bücher und die Stabmixer die Krippen irgendwie verdrängt hatten: So manches Jesuskind streckte die Arme traurig über eine Espressomaschine, über einen Berg von Strumpfhosen und Schlüpfern; zwischen Kristallgläsern und Laptops bahnten sich verloren wirkende Hirten und Hirtinnen, Könige aus dem Morgenland und Kamele mühsam einen Weg.
Es war, als hätte ein gewaltiger Blutandrang die ganze Stadt anschwellen lassen, als würde eine Art kollektiver Erektion die Menschen nicht zur Krippe des himmlischen Kindes treiben, sondern zu den Kassen, und als würde alles nicht mit dem Staunen über das Wunder enden, sondern mit einem Kassenbon, auf dem fein säuberlich die Mehrwertsteuer ausgewiesen war.
Während Stucky in Richtung Polizeipräsidium ging, stellte er sich als finsterste Hypothese vor, dass ihn der Bischof von Treviso höchstpersönlich angerufen hatte, um ihn zu bitten, für die Sicherheit der Weihnachtseinkäufer zu sorgen. Stattdessen meldete sich der Polizeipräsident, um ihm telefonisch mitzuteilen, dass Presse und Lokalfernsehen ihn höflich vorgewarnt hätten: Sie würden ausführlich über die Ereignisse berichten und zumindest unter denen, die Tageszeitungen kauften, ein Chaos auslösen.
Nicht nur wegen der verwandtschaftlichen Beziehung schaute Stucky bei Onkel Cyrus vorbei. Auf dem Ponte della Malvasia, wenige Schritte von dem Teppichgeschäft entfernt, bewunderte er zum wiederholten Male die alte Fassade eines Palazzo, und tatsächlich gab es in der ganzen Stadt Treviso keine steinerne Hausmauer, die ihm besser gefiel als diese. Der noble Verfall des rauen, bröckelnden Steins, der Balkon, auf dem das Wasser stand, ganz oben das von Tauben eroberte Mansardenfenster, der lange Rauchabzug, der aus der Mauer herauswuchs und oben in einen stumpfen Kamin auslief, der verkrümmte Jasmin auf dem Balkon rechts, die Knoblauchzöpfe und die vergessene Tüte voller Orangen auf dem Fensterbrett im obersten Stockwerk. Ein Ensemble, das ihn mit seinem Zauber von Vergänglichkeit und Vernachlässigung tief berührte.
Er klopfte an die Ladentür.
»Ich habe neulich mit dem Typen von der ›Papageien-Universität‹ gesprochen …«
»Ja, und?«
»Es handelt sich um Tiere, die mit einer gewissen Strenge behandelt werden müssen«, sagte Stucky.
»Verstehe. Du warst nicht bereit, ihm ordentlich den Kopf zu waschen.«
»Es ist eine schwere Zeit.«
»Weißt du, was ich dir gern sagen möchte, ohne dir wehzutun?«
»Was denn, Dadà?«
Daij Cyrus nahm eine Pistazie aus der Dose und führte sie zum Mund. Er hatte ein naturgegebenes Talent, nur den essbaren Teil der Pistazie hinunterzuschlucken. Ein Talent, um das der Inspektor ihn beneidete.
»Was geschieht mit dem Mann, der sich für unglücklicher hält, als er tatsächlich ist?«
Stucky wusste es, wartete aber schweigend ab.
Daij Cyrus zog die Beine an, wobei er peinlich genau darauf achtete, mit seinen Mokassins keinen Schaden an den Teppichen anzurichten.
»Es passiert Folgendes: Zwei Stöcke steigen vom Himmel herab … Der erste bohrt sich in den Hintern des unglücklichen Mannes …«
Der Inspektor wusste, was er nun zu fragen hatte: »Und der zweite?«
»Wartet ab.«
»Dottore, ich liebe Musik. Meine liebsten Bands sind Pink Floyd und Genesis. Als der erste Lastwagen mit Abfällen, aus Rovigo kommend, bei uns hereingefahren ist, lief auf höchster Lautstärke If von Pink Floyd: If I Were a Swan … Ich hatte eine super Stereoanlage in den Büros installieren lassen, mit den Boxen im Freien, um die ganze Deponie zu beschallen und so etwas zu beleben.
Ich habe Pink Floyd in Bologna erlebt, in einem Konzert. Ich war zwar weit von der Bühne weg, aber die Lichtkegel, das mit Helium gefüllte fliegende Stoffschwein … das war schon ein tolles Spektakel. Und außerdem hat es mir gefallen, dabei zu sein, mitten unter diesem ganzen Pink-Floyd-Volk, es war, als würde uns tatsächlich etwas verbinden, die gleiche Musik, die gleichen Träume, die gleiche Entdeckung dieser Band, die sich für mich schon in der ersten Schulklasse ereignete, an einem Vormittag, als ich mit Klassenkameraden die Schule geschwänzt hatte und wir zu einem Angehörigen dieses Pink-Floyd-Klubs gegangen sind und uns bei ihm zu Hause die frühen Songs angehört haben, A Saucerful of Secrets und auch Careful with that Axe, Eugene. Und während die anderen schwätzten und rauchten, fing ich an, mich in Eugene hineinzuträumen. Eugene und seine Axt. Ich sah diesen Typen mit
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