Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)

geweitet vor Schrecken, aber frei von Tränen. »Wir haben etwas Böses getan, Vater.«
    »Was hast du gedacht, was Krieg ist?«, sagte Dawson. »Wir sind Männer, Jorey. Nicht Jungen, die mit Stöcken aufeinander losgehen und verkünden, dass der böse Zauberer geschlagen ist. Wir tun, was Pflicht und Ehre verlangen, und oft ist das, was wir tun, schrecklich. Bei der Belagerung von Anninfurt war ich kaum älter als du jetzt. Wir haben sie ausgehungert. Es war kein Feuer, aber es war ein langsamer, qualvoller Tod für Tausende. Und die Schwachen sterben zuerst. Kinder. Alte Männer. Die Seuche in der Stadt? Wir haben sie dorthin gebracht. Lord Ergillian hat Reiter ausgesandt, um die Kranken überall im Land zu finden, und wen wir gefunden haben, haben wir ›Gesandten‹ getauft und in die Stadt geschickt. Sie wurden getötet, aber nicht, ehe sich die Krankheit ausgebreitet hatte. Jeden Tag kamen Frauen mit Säuglingen in den Armen an die Tore, um uns anzubetteln, ihnen ihre Kinder abzunehmen. Gewöhnlich haben wir sie ignoriert. Manchmal haben wir die Kinder genommen und sie an Ort und Stelle getötet, gleich außerhalb der Reichweite ihrer Mutter.«
    Joreys Gesicht war blass geworden. Dawson beugte sich vor, die Hand auf dem Knie seines Sohnes, wie er es getan hatte, seit der Junge alt genug war, um zu sitzen. Dawson war einen Moment lang bekümmert, dass der Junge mit den dürren Gliedern weg war, und dieser Augenblick – diese Unterhaltung, die einer anderen ganz ähnlich war, die er einst mit seinem Vater geführt hatte – war Teil des Übergangs jenes Kindes aus dieser Welt. Das Kind musste gehen und Raum für den Mann schaffen. Es verlieh dem Verlust eine Bedeutung und machte ihn erträglich. Das war alles, was Dawson anzubieten hatte.
    »Anninfurt hat gegen den Thron rebelliert«, sagte er, »und deshalb musste es fallen. Und damit es fallen würde, musste es erfahren, was Verzweiflung ist. Diejenigen, die sie uns brachten, waren am Rande des Verhungerns. Sie hätten nicht überlebt. Wenn die Kinder, die wir getötet haben – die Kinder, die ich getötet habe –, dafür gesorgt haben, dass das Ende eine Woche früher kam, als es sonst gekommen wäre, dann habe ich das Richtige getan. Und ich habe damals gelitten, so wie du jetzt leidest.«
    »Das habe ich nicht gewusst«, sagte Jorey.
    »Ich habe es dir nicht erzählt. Männer legen ihre Bürden nicht ihren Kindern auf. Ich habe es deiner Mutter nicht erzählt. Sie soll nicht daran zu tragen haben. Verstehst du, was ich sage?«
    »Vanai war anders. Es bestand keine Notwendigkeit.«
    Dawson öffnete den Mund, um etwas zu sagen – hoffentlich etwas Kluges und Tröstendes –, aber er merkte, wie seine Gedanken beinahe mit einem körperlich spürbaren Klicken einrasteten. Vanai. Issandrian. Die bewaffneten Söldner, die unter dem Vorwand nach Camnipol ritten, Prinz Aster die Ehre zu erweisen. Die Belagerungsstreitmacht, die aus dem Süden zurückkehrte, mit Geder Palliako an der Spitze.
    »Ah«, sagte Dawson.
    »Vater?«
    »Wo ist Palliako? Ist er hier?«
    »Nein, bei den Männern. Eine Woche hinter mir vielleicht?«
    »Zu weit weg. Wir brauchen ihn früher zurück.«
    Dawson war aufgestanden. Er öffnete die Tür und rief nach Coe. Der Jäger stand bereit, als hätte er auf ihn gewartet. Die ersten Anweisungen waren ganz einfach: die anderen holen. Nicht nur Canl Daskellin, sondern das halbe Dutzend Männer, die ihr Schicksal in seine Hände gelegt hatten. Die Zeit war knapp, und der Sieg unsicher. Coe stellte keine Fragen, er salutierte nur und verschwand. Als er sich umdrehte, sah Jorey verwirrt aus.
    Dawson hob die Hand und gebot den Fragen Einhalt, ehe sie kamen. »Du musst mir noch einen letzten Gefallen tun, ehe du dich ausruhst, mein Junge. Es tut mir leid, dass ich dich bitten muss, aber ich glaube, das Schicksal des Throns hängt davon ab.«
    »Was immer du brauchst.«
    »Bring mir Geder Palliako. Und zwar schnell.«
    »Das werde ich.«
    »Und, Jorey? Vanais Untergang hat uns vielleicht gerettet.«
    Nicht einmal eine Stunde verging, bis Dawsons Gäste eintrafen. Zusätzlich zu Odderd und Daskellin kamen der Graf der Flussmark und Baron Nurring. Die anderen waren nicht zu Hause, und Coe war erneut hinausgegangen, um sie zu suchen. Dies war allerdings genug. Hier saßen oder standen fünf Männer, die alle über die Loyalität hochgestellter Familien und strategisch wichtige Ländereien geboten. Sie trugen noch den Brokat und die bestickten Hüte,