Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)
wieder zum Feuer, und schließlich griff sie beiläufig nach dem Weinschlauch und steckte ihn in die Jacke.
Sie ging zurück zu ihrem Karren, wich unterwegs den anderen aus. Jemand sang, und eine andere Stimme erhob sich, um in das Lied einzustimmen. Ein Nachtvogel rief. Cithrin kletterte hinauf. Tau bildete sich auf dem Wollstoff, kleine Tropfen, die das Leuchten des Mondes einfingen. Sie fragte sich, ob sie die Plane überziehen sollte, aber es war dunkel, und sie wollte es eigentlich nicht. Stattdessen schmiegte sie sich zwischen die Stoffballen, zog den Weinschlauch aus der Jacke und nahm noch einen Schluck. Einen kleinen und nur einen einzigen.
Sie musste vorsichtig sein.
Dawson Kalliam
Baron von Osterlingbrachen
Der Bogen, in dem das Schwert auf ihn zukam, änderte sich in der letzten Sekunde, und die Stahlklinge schwenkte zu seinem Gesicht herum. Wäre Dawson so jung gewesen wie sein Gegner, hätte der Angriff seine gewünschte Wirkung erzielt: Er wäre davor zurückgeschreckt, hätte sich abgewandt und sich eine Blöße gegeben. Aber er kämpfte schon zu viele Jahre auf dem Duellplatz. Er zog die eigene Klinge einen Zoll zur Seite und brachte den unerwarteten Hieb von seinem Ziel ab.
Feldin Maas, der Baron von Ebbinwinkel und Dawsons Gegner in diesem kleinen Kampf wie in allem anderen, spuckte auf den Boden und grinste.
Die ursprüngliche Beleidigung war eine Kleinigkeit gewesen. Obwohl Dawsons Landbesitz größer war, hatte Maas darauf bestanden, vor drei Tagen am Königshof vor ihm bedient zu werden, allein aufgrund seiner Ernennung zum Wächter der Südlichen Breiten. Dawson hatte Maas’ Fehler erläutert. Maas hatte daraus eine Beleidigung gemacht. Es wäre dort in der großen Halle beinahe dazu gekommen, dass sie sich geprügelt hätten. Und so musste die Frage hier geklärt werden, auf die alte Art.
Der Duellplatz war ein trockenes, staubiges Feld, das lang genug war, um einem Tjost Platz zu bieten, und schmal genug für ein Stelldichein wie dieses: mit kurzen Klingen und in der Lederrüstung eines Duellanten. Auf einer Seite erhoben sich die Mauern und Türme der Königshöhe, weit über die Baumkronen hinaus. Auf der anderen war der Spalt, tausend Fuß tief, der die Stadt in zwei Teile trennte und dem Gespaltenen Thron seinen Namen verlieh.
Sie lösten sich voneinander und nahmen das langsame, enge Umkreisen wieder auf. Dawsons rechter Arm war so erschöpft, dass er sich anfühlte, als würde er brennen, aber die Spitze seines Schwertes zitterte nicht. Es war eine Frage des Stolzes, dass er nach dreißig Jahren auf dem Feld der Ehre immer noch so stark war wie am ersten Tag, an dem er es betreten hatte. Die Klinge des Jüngeren war ein wenig unruhiger, sein Kampfstil eindeutig sorgloser.
Die Ledersohlen ihrer Stiefel glitten über den Boden. Feldin stieß zu. Dawson parierte, entgegnete den Angriff, und nun wich Feldin zurück. Sein Grinsen war nicht mehr so sicher, aber Dawson verbot es sich, darüber Befriedigung zu empfinden. Nicht, bevor der Bastard nicht eine Narbe von einem Kalliam trug. Feldin Maas schwang sein Schwert tief und mit großer Wucht, drehte die Klinge schnell aus dem Handgelenk. Dawson parierte, täuschte rechts an und attackierte links. Sein Stil war vollkommen, aber sein Feind hatte sich bereits zur Seite geneigt. Sie waren beide zu erfahren auf dem Schlachtfeld, als dass die alten Tricks noch sonderlich viel Wirkung gezeigt hätten.
Etwas Unerwartetes musste her.
In einer echten Schlacht wäre Dawsons Stoß Selbstmord gewesen: Er ließ ihn ungeschützt, brachte ihn aus dem Gleichgewicht, und er musste sich viel zu weit nach vorn strecken. Es war alles andere als große Schwertkunst, und deswegen führte es zu dem Ergebnis, das er beabsichtigt hatte. Feldin sprang zurück, doch zu langsam. Der Widerstand, als das Metall in die Haut eindrang, wurde auf Dawsons Klinge übertragen.
»Blut!«, rief Dawson.
In der Dauer eines Herzschlags sah er, wie sich Feldins Gesichtsausdruck von Überraschung in Wut, von Wut in Berechnung und von Berechnung in eine abgeklärte, ironische Maske verwandelte. Einen Moment lang zog Maas noch einen Gegenangriff in Erwägung. Er wäre nicht zu parieren gewesen. Der junge Feldin war in Versuchung, erkannte Dawson. Ehre, Zeugen und Regeln des Gesetzes hin oder her, Feldin Maas war versucht gewesen, ihn zu töten. Das verlieh dem Sieg eine noch vorzüglichere Note. Feldin trat zurück, legte eine Hand auf die Rippen und hob blutige Finger.
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