Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)
– dass sie alle Bücher verschlingen musste, um sie sicher zu halten, dass Meister Kit sich Flügel wachsen lassen konnte, aber nicht wollte, dass jemand davon erfuhr, dass Cary im Geheimen vorhatte, sie in ihrem eifersüchtigen Zorn wegen Sandr zu töten – nahmen eine Glaubwürdigkeit an, die sie nicht verdient hatten.
Alles, was sie über Porte Oliva wusste, wusste sie aus zweiter Hand. Sie wusste, dass es am südlichen Rand von Birancour lag und durch all den Handelsverkehr aus dem Osten überlebte, der nicht in den Freistädten anhielt, und durch alle aus dem Westen, die die längere Reiseroute auf sich nahmen, um den Piraten auszuweichen, die Cabral unsicher machten. Der Großteil seines Reichtums rührte daher, dass es als Hafen auf dem Weg zwischen Lyoneia und Narineiland lag. Magister Imaniel hatte es als »jedermanns zweite Wahl« bezeichnet, aber er hatte gesagt, dass das womöglich gar keine so schlechte Rolle war. Sie hatte es sich als eine Stadt der rauen Kanten mit stolzen Einheimischen vorgestellt.
Ihre eigentliche Ankunft war unheimlich gewesen. Sie erinnerte sich daran, ihr Gespann über hügelige, schneeverwehte Straßen gelenkt zu haben, und dann war ein junger Kurtadam, geschmeidig wie ein Otter, neben ihrem Karren hergetrottet, die Hände ausgestreckt, um sie um Münzen anzubetteln, und ein Wald aus Gebäuden war um sie herum in die Höhe geschossen. Porte Oliva war abgesehen von Vanai die erste richtige Stadt in ihrem Leben – sie war Stein, wo Vanai Holz war, und hatte Salz, wo Vanai Frischwasser hatte. Ihre ersten Eindrücke waren verschwommene, schmale Straßen mit hohen weißen Bogen, der Geruch nach Fäkalien und Meersalz, die Stimmen von vollblütigen Cinnae, die wie Finken zwitscherten. Sie glaubte, dass sie durch einen Tunnel in einer großen Mauer gezogen waren, wie in den alten Geschichten von den Toten, die von einem Leben ins nächste übergingen, aber es war genauso wahrscheinlich, dass sie das geträumt hatte.
Sie erinnerte sich nicht daran, wie sie Marcus Wester und seinen Stellvertreter als persönliche Wache angeheuert hatte. Nicht einmal, weshalb sie es für eine gute Idee gehalten hatte.
Der Hauptmann tappte über den Steinboden. Auf dem Bett an der Wand schnarchte Yardem Hane. Cithrin trieb langsam aus ihrem Schlummer nach oben und betrachteten noch einmal die feuchte kleine Unterkunft, zum hundertsten Mal. Ein kleines Feuer murmelte im Rost, warf rote und orangefarbene Schatten an die gegenüberliegende Wand und spie Kiefernrauch in die Luft. Das Fenster war aus abgeschabtem Pergament, und es machte das Sonnenlicht, das hereinfiel, schmutzig. Die Kisten – der Inhalt des Karrens, den sie so sorgsam von Vanai herbefördert hatte – waren an den Wänden aufgestapelt wie in einem beliebigen billigen Geschäft. Nur die allerwertvollsten Gegenstände vom Karren waren in die versenkte Eisenkassette gewandert. Kaum ein Zehntel dessen, was sie dabeihatten, passte hinein. Cithrin setzte sich auf. Ihr Körper fühlte sich zerschunden an, aber ihr Kopf war beinahe klar.
»Morgen«, sagte Marcus Wester mit einem höflichen Nicken.
»Wie lange habe ich geschlafen?«, fragte sie.
»Den halben Vormittag. Es ist noch nicht Mittag.«
»Gibt es was zu essen?«
»Ein wenig Wurst von gestern Abend«, sagte er und nickte zu der kleinen Tür aus verzogenem Holz, die in das einzige andere Zimmer führte.
Cithrin stand auf. Ein halb verschlafener Vormittag hätte früher nicht annähernd ausgereicht, damit sie bis zum Abend durchhielt. Nun fühlte es sich wie Luxus an. Der hintere Raum hatte weder Tür noch Fenster, deshalb zündete Cithrin einen daumengroßen Kerzenstumpf an und nahm ihn mit nach hinten. Die Bücher – Seele und Erinnerung der Bank von Vanai – lagen auf einer Holzpalette. Ein grober Eichentisch bot einer Wasserkaraffe und einem Stück gräulicher Wurst Platz. Der überwältigende Gestank kam von einem Nachttopf aus Zinn in der Ecke. Cithrin erleichterte sich und warf eine Handvoll Asche hinein, ehe sie den Deckel wieder darauflegte. Sie schnitt ein Stück Wurst ab und lehnte sich an den Tisch, während sie darauf kaute. Apfel und Knoblauch gaben dem Fleisch Würze. Es war nicht annähernd so schlecht, wie sie erwartet hatte.
Seit beinahe zwei Wochen war das Leben nun so. Marcus wachte bei Tag, Yardem bei Nacht. Sie begaben sich so wenig wie möglich nach draußen. Der einzige Rückzugsort war das kleinere Zimmer, und das einzige Licht kam von dem trüben
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