Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)
Primärtexten aus jener Zeit ist es unsere beste Methodik, all die zu untersuchen, die später den Mantel des Drachenimperiums für sich beanspruchten, und durch die Betrachtung ihrer Handlungen das Wesen der Beispiele abzuleiten, denen sie folgten. Das beste Beispiel ist das der rätselhaften Belagerung von Aastapal. Durch die unmittelbare Untersuchung der Ruinen dort konnte nicht ergründet werden, ob die Zerstörung der Stadt von den angreifenden Kräften des großen Drachen Morade bewerkstelligt wurde oder, etwas umstrittener, von den Besatzungsstreitkräften seines Bruders und Klauengefährten Inys.
Aufgrund dieses Mangels an unmittelbaren Beweisen dürfen wir uns besser bekannter Geschichte zuwenden. Erst viel später, tausend Jahre danach, stoßen wir auf den großen Jasuru-General Marras Toca während des vierten Feldzugs der Heiligen Säuberung. Außerdem auf den Anthypatos von Lynnic, Hararrsin der Fünfte genannt, bei der Schlacht von Fahl Dan. Außerdem auf Königin Errathiánpados bei der Belagerung von Kázhamor. In jedem dieser Fälle entschied sich ein Befehlshaber im Krieg, der eine unmittelbare Abstammung vom letzten Drachenherrscher für sich beanspruchte, eine Stadt zu zerstören – eine Maßnahme, um sie dem Feind vorzuenthalten. Wenn das, wie ich zu beweisen versuchen werde, in einer bewussten Nachahmung des letzten großen Krieges der Drachen getan wurde, legt das nahe, dass die Zerstörung von Aastapal eher auf Inys zurückgeht: ein taktisches Manöver, um die Stadt Morades Herrschaft zu entziehen.
Geder neigte den Kopf zur Seite. Die Argumentation schien ihm schwach. Zum einen hatte er von zweien der drei Beispiele noch nie gehört. Und dann nahm er an, dass man aus all den Schlachten, Kriegen und Belagerungen seit dem Fall der Drachen Beispiele für jegliche Strategie oder Entscheidung heraussuchen konnte, die man finden wollte. Die Argumentation konnte genauso gut in die andere Richtung geführt werden, wenn man andere Anführer, andere Schlachten wählte. Und Gott wusste, dass jeder dritte Tyrann irgendeine Art von Abstammung von den Drachen für sich beanspruchte.
Und doch, wenn man die Einzelheiten außer Acht ließ, war es ein faszinierender Gedanke. Wenn etwas nicht in Erfahrung gebracht werden konnte, wenn die Einzelheiten für immer verloren waren, konnte man auf die Ereignisse blicken, die darauf gefolgt waren. Darin fand sich ein Widerhall des Ursprünglichen, so dass sich dann rückwärts die Wahrheit verfolgen ließ. Als würde man die Wellen auf einem See sehen und erkennen, wo der Stein hineingefallen war. Er blickte aufgeregt umher. Auf seinem Schreibtisch war noch ein wenig Tinte im Fass, aber er hatte seine Schreibfeder irgendwo verlegt. Er ließ das Buch offen liegen und huschte zu dem Stapel Feuerholz neben dem Rost, hob einen herabgefallenen Splitter auf und ging rasch zurück zu seinem Schreibtisch. Grobes Holz wurde in die Schwärze getaucht, und Geder schrieb vorsichtig an den Rand des Buches. Nach Wellen suchen, um herauszufinden, wo der Stein hineingefallen ist.
Er lehnte sich zufrieden zurück. Wenn es nun nur irgendwo eine Erörterung zum Rechtschaffenen Diener geben würde …
»Lord Palliako«, sagte sein Knappe vom Eingang her. »Bankett bei Lord Klin?«
Geder seufzte, nickte und warf den geschwärzten Splitter ins Feuer. Sein Daumen und Zeigefinger waren verschmiert. Er wusch sich die Hände im Becken, in Gedanken nur halb bei der Sache. Der Knappe half ihm in seine offizielle Tunika und den neuen schwarzen Ledermantel und führte ihn zur Tür und auf die Straße hinaus.
Zu Hause in Camnipol war der Jahrestag von König Simeons Aufstieg das Großereignis des Winters. Die begünstigte Adelsfamilie, die der König jeweils erwählte, durfte in dieser einen Nacht ihr halbes Jahreseinkommen verschwenden, wenn der Hof wie Krähen auf einem Schlachtfeld über sie herfiel. Geder war zweimal dabei gewesen, und das üppige Essen und Trinken hatte ihm beide Male ein unbestimmtes Krankheitsgefühl beschert.
In Vanai ließ Sir Alan Klin das Ereignis mit einem großen Bankett und einem erzwungenen öffentlichen Feiertag wiederaufleben.
Festliche Laternen hingen in den schmalen Straßen und warfen seltsame Schatten. Musiker spielten Flöten und schlugen Trommeln, während die dünnen Stimmen von Timzinae aufstiegen und in das Lied einfielen. Eine Frau mit breitem Gesicht rollte ein Fass die Straße entlang, das Holz dröhnte auf den Pflastersteinen.
Geder kam an
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