Dolch und Münze (01): Das Drachenschwert (German Edition)
»Ich hab’s gewusst, dass Ihr etwas verschweigt.«
Jorey lächelte reumütig. »Ich weiß nichts mit Sicherheit. Vater hat gesagt, dass man sich bei Hofe ein wenig darum sorgt, dass der Feldzug nach Vanai der Krone nicht so viel genützt hat wie erwartet. Bis jetzt ist es alles nur Gemurre bei Hof. Der König hat nichts gegen die Art und Weise gesagt, wie Klin die Sache durchführt.«
»Er hat aber auch nichts zu seinen Gunsten gesagt, oder?«, fragte Tilliakin.
»Nein«, erwiderte Jorey. »Nein, das hat er nicht.«
»Ternigan wird ihn nicht zurückrufen«, sagte Brut um einen Mund voller Würstchen herum. »Sie würden beide schlecht dastehen.«
»Wenn er es aber tut, dann wird er es bald tun. Wäre interessant zu wissen, wen er an seine Stelle setzt, oder nicht?«, erklärte Tilliakin und starrte Jorey vielsagend an.
Geder blickte zwischen den Männern hin und her, und sein Verstand jagte vor ihm her wie ein Hund, der die Leine abgestreift hatte. Klins stetiger Strom von Steuerforderungen bekam plötzlich eine größere Bedeutung. Vielleicht suchte er nicht nur nach unangenehmen Aufgaben, um Geder tagsüber beschäftigt zu halten. Jene Münzen gingen womöglich zurück nach Camnipol, anstelle von denen, die ihnen entgangen waren, als der Erdboden die Karawane verschluckt hatte. Klin kaufte sich die gute Meinung des Hofes zurück.
Der Gedanke war zu süß, um ihm zu trauen. Denn wenn es stimmte, wenn er Sir Alan Klin den Missmut des Königs eingebracht hatte …
»Ich glaube, Jorey würde einen guten Fürsten für Vanai abgeben«, sagte Geder.
»Bei Gottes Wunden, Palliako!«, fuhr Brut dazwischen. »Sagt so etwas doch nicht, wo Leute Euch hören können!«
»Entschuldigung«, murmelte Geder. »Ich habe doch nur gemeint …«
Ein Brüllen ertönte vom Ehrentisch. Ein halbes Dutzend Gaukler in Narrenkostümen warfen Messer in alle Richtungen durch die Luft, und die Klingen glitzerten im Licht des Feuers. Diejenigen, die am Ehrentisch saßen, hatten sich umgesetzt, um Platz für die Vorführung zu machen, und Geder konnte Alan Klin nun deutlich sehen. Er bildete sich ein, durch die verschwommenen Messer Nervosität in der Schulterhaltung des Mannes zu erkennen. Falsche Fröhlichkeit in seinem Lächeln und Gelächter. Einen gequälten Ausdruck in den hellen Augen. Und wenn es stimmte, dann hatte er – Geder Palliako – all das herbeigeführt. Und dazu kam, dass Klin es nie erfahren würde. Er würde die Wellen niemals zurückverfolgen.
Geder lachte und klatschte und gab vor, die Vorführung zu betrachten.
Cithrin
Nach der Nacht mit dem Eislaufen am Mühlenweiher und der Angst des Tages danach, die ihr die Kehle zugeschnürt hatte, verliefen ihre Nächte nach einem Muster. Erst kam Erschöpfung bis in die Knochen. Dann, nachdem sie sich in der Wolle zusammengerollt hatte, eine herrliche Stunde der Ruhe, ehe ihre Augen aufklappten, ihre Gedanken sich jagten, ihr Herz eng und aufgekratzt war. In manchen Nächten sah sie den teigigen adligen Anteaner, wie er abermals die verborgenen Truhen fand, nur dass er diesmal laut rief und seine Soldaten kamen. Ihre Gedanken wirbelten durch Alptraumbilder dessen, was beinahe geschehen war. Sandr getötet. Opal abgeschlachtet. Meister Kit mit Pfeilen gespickt, sein Blut ein helles Leuchten im Schnee. Marcus Wester, der sie den Soldaten im Austausch für die sichere Weiterreise der Karawane aushändigte. Und dann das, was die Soldaten ihr vielleicht angetan hätten. Dass es nicht geschehen war, verlieh der Angst eine beinahe übersinnliche Macht, als hätte sie mit ihrem knappen Entkommen eine Schuld auf sich geladen, deren Begleichung mehr war, als sie ertragen konnte.
Sie kämpfte mit Erinnerungen an Meister Imaniel dagegen an, Erinnerungen an die Bank, an die Balance zwischen Handelsverträgen und Versicherungen, an Ränkespiele und ausgeklügelte Planungen, die sie an ihre Heimat erinnerten. Es brachte ihr keine Ruhe, aber es machte die kalten, dunklen, wachen Stunden erträglich – sie konnte sich damit vorgaukeln, dass die Welt Regeln folgte und gezähmt werden konnte. Dann wurde der Himmel im Osten heller, und die Erschöpfung fiel über sie her wie ein Umhang aus Schmiedeeisen, und sie zwang sich dazu, sich aufzurappeln und einen weiteren unvorstellbaren Tag durchzustehen. Bis sie in Porte Oliva eintrafen, lebte sie schon halb in einem Wachtraum. Kleine rote Tiere erhoben sich und tänzelten in einer Ecke ihres Sichtfeldes, und die unwahrscheinlichsten Ideen
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