Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
angenommen. Die Diener waren weg, und ohne jemanden, der ihr zur Hand ging, suchte sie zwei Hemden aus Dawsons Schrank heraus. Ein blassgelbes, um es zu zerreißen und als Verband zu benutzen. Das andere war dunkelblau, so nahe an Schwarz, dass man es nicht deutlich sehen würde, wenn die Wunden weiterbluteten. Vor dem Fenster des Schlafgemachs bemerkte sie drei Männer, die sie kannte – den Jungen der Köchin, den Diener mit den erbarmungswürdigen Ohren und den Helfer des Hufschmieds. Sie standen zusammengedrängt wie Vögel in der Kälte, trotz der warmen Nachtluft. Sie hielten Schwerter und Hämmer und gaben mit ihren Posen vor zu wissen, wie man sie benutzte. Clara schloss die Fensterläden, ehe sie wieder ging.
Jorey war in der Küche, als sie dorthin zurückkehrte. Sein Haar war in Unordnung, und die Lederrüstung, die er im Krieg getragen hatte, war von den Schultern abwärts halb zugeschnürt. Er hatte angefangen, sich einen Bart wachsen zu lassen, aber es waren bisher nur Stoppeln; ein Schatten auf seinen Wangen, den kein Licht vertreiben konnte. Als sie eintrat, blickte ihr Sohn zu ihr auf. Sein distanzierter Blick war schrecklich anzuschauen.
»Hilf mir, ihn zu verbinden«, sagte Clara und zwang ein Lächeln in ihre Worte. »Dein Vater ist mir stets lieb und teuer, aber ich werde ihn nicht den Boden vollbluten lassen.«
Dawson lachte leise, auch wenn Jorey es nicht tat. Sie standen am breiten Tisch und rissen das helle Hemd in Streifen; der Stoff trennte sich unter ihren Fingern auf, Fäden rissen ab.
»Bannien hat die meisten Männer«, sagte Dawson, der eine Unterhaltung fortführte, die sie bereits begonnen hatten, »aber sein Anwesen ist nicht zu verteidigen. Zu offen, zu viele niedrige Hecken, über die man springen kann. Das von Klin ist nicht so gut wie das von Mastellin, aber solange wir nicht wissen, wie die Sache überhaupt durchgesickert ist, können wir den Männern nicht vertrauen, denen ich vertraut habe.«
»Aber kannst du Klin vertrauen?«
»Er würde nicht auf Palliakos Seite wechseln, wenn er in Flammen stünde und Geder das einzige Wasser auf der Welt hätte. So merkwürdig es ist, Klin ist der einzige Mann, bei dem ich mir im Augenblick sicher bin, dass ich mich auf ihn verlassen kann.«
Sie stieß Dawson am Ellbogen an, damit er ihn hob, dann legte sie Streifen aus blassem Stoff auf die Verletzungen. Ihre Finger schienen zu wissen, was sie tun mussten, ohne dass sie ihnen Anweisungen gab. Das war auch gut so, denn ihr Verstand war gerade ein Wirbelwind, in dem sich keine zwei Gedanken befanden, die sich verbinden ließen. Als sie nach hinten gehen musste, um den Verband zu befestigen, hielt Jorey den Stoff für sie, und eine plötzliche, starke Erinnerung daran, wie sie ihrer Schwester geholfen hatte, ihren Vater für die Beerdigung zu waschen, überkam sie. Die Enge in ihrer Kehle war so unwillkommen wie unleugbar.
»Ich werde zu ihm gehen«, sagte Jorey. »Wenn du das für das Beste hältst.«
»Nein«, entgegnete Dawson. »Schick einen Läufer. Du nimmst Sabiha und deine Mutter. Bring sie in Sicherheit.«
»Und wie kommst du darauf, dass ich einverstanden bin, irgendwohin zu gehen?«, fragte Clara in scharfem Ton. »Als ich zuletzt hingeschaut habe, war ich hier noch zu Hause.«
Da der letzte Verband an Ort und Stelle war, griff sie nach dem dunkleren Hemd. Dawson fing ihre Hand ein. Sie konnte nicht sagen, wer von ihnen zitterte.
»Wenn du bleibst, wird Jorey bleiben«, sagte Dawson, »und wenn er bleibt, auch das Mädchen. Ich bin noch nicht am Boden, aber ich kann nicht sowohl diese Schlacht schlagen als auch euch alle im Auge behalten. Wenn ihr alle da seid, werde ich auf euch achten. Ich werde es nicht verhindern können.«
»Dann müsstest du …«, begann Clara, und die Worte erstickten ihre Stimme. Sie schluckte. »Dann müsstest du davon ausgehen, dass es irgendeinen Ort gibt, der sicherer ist als dieser.«
»Jorey wird euch aus der Stadt bringen. Und wenn es vorbei ist, bringt er euch zurück.«
»Sagst du mir die Wahrheit?«, fragte sie, aber sie wussten beide, dass es eine Frage war, die er nicht beantworten konnte. Sie küsste ihn heftig auf die Stirn: Liebe und Zorn. »Lass mich ein paar Dinge zusammensuchen. Jorey, hol deine Frau.«
Pferde und Kutschen wären am schnellsten gewesen, aber sie hätten auch die meiste Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Stattdessen hüllten sich Clara und Sabiha in dunkle Umhänge mit hochgezogenen Kapuzen. Jorey ging
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