Dolch und Münze (02): Königsblut (German Edition)
alles? Natürlich könnt Ihr das tun. Wenn zur Debatte steht, sie mit Nahrung und Unterkunft zu versorgen, kann ich noch heute Nacht hundert Diener fortschicken und werde sie morgen nicht vermissen. Weshalb sollte man eigentlich nicht das Anwesen von Kalliam nehmen? Ich meine, es wird wohl nicht genug Platz bieten, aber es liegt eine gewisse Poesie darin.«
Sie hielten an einem kleinen Brunnen an, wo das Wasser über die Schultern eines früheren Königs strömte und über die halb so großen adligen Männer und Frauen zu seinen Füßen floss und dann über eine winzige Horde Bauern, die aus Stein gehauen waren. Politische Philosophie als Verzierung.
»Ich bin Euch dankbar, Prinz Geder.«
»Das ist nicht nötig. Ich könnte nichts von alldem ohne Euch tun.«
Die Angst kam um Mitternacht. Er hatte keine Ahnung, warum das so war. Die Dunkelheit war doch das Beste an allem gewesen, was geschehen war, aber wenn nun die Sonne verblasste, musste Geder feststellen, dass ihn das Gesicht von Dawson Kalliam heimsuchte. Das Aufblitzen der Klinge. Das Blut auf Basrahips Hand.
Wenn er wie jetzt in seiner Bibliothek saß, seine Leibgarde in diskretem Abstand, wusste er, dass er nicht in Gefahr war. Aber er hatte auch die Gefahr auf Kalliams Fest nicht erkannt. Wenn es etwas zu lernen gab, dann war es, dass die Gefahr zu jeder Zeit und aus jeder Richtung kommen konnte. Er be kämpfte die Dunkelheit mit Licht. Lampen, Laternen und Kerzen leuchteten zwischen den Papieren und Buchstaben, um die Nacht zurückzudrängen.
Seine eigene Sammlung, das Ergebnis der Sammeltätigkeit eines ganzen Lebens, war nicht einmal ein Viertel von dem, was im königlichen Archiv stand, aber das Archiv spiegelte den Geschmack und die Meinungen einer erklecklichen Anzahl von Gelehrten wider. Bis zu einem gewissen Grad waren alle Fachrichtungen vertreten – Dichtung, Moralerzählungen, Geschichte –, aber beim spekulativen Traktat, seinem besonderen Liebling, wurde es dünn. Es lag ein gewisser Trost darin, etwas zu lesen, das er schon gelesen hatte, und wegen des Trostes war er hier.
Die Kopfkissentraktate reichten zurück bis zur Herrschaft der zweiten Königin Esteya und beschäftigten sich mit allem Möglichen, von den Feinheiten der Hofpolitik und den Rivalitäten zwischen Leuten, deren Namen inzwischen ansonsten vergessen waren, bis hin zu Spekulationen über die Sexualität der verschiedenen Rassen. Dem Dialekt konnte man recht einfach folgen, vor allem, da Geder damit vertraut war, aus anderen Sprachen zu übersetzen. Als er es zum ersten Mal gelesen hatte, war es ein kleines Laster gewesen. Aufregend und beschämend. Was er von Frauen und ihren Körpern gewusst hatte, war zum Großteil diesem Buch und anderen vergleichbaren entnommen.
Es liegt in der Natur der Frauen einer jeden Rasse außer den Erstgeborenen, sich zu jenen Männern hingezogen zu fühlen, die der ursprünglichen Form des Menschen am ähnlichsten sind. Die Jasuru halten Männer mit dünneren Schuppen in Farbschattierungen, die denen der Haut ähneln, für den erfreulichsten Anblick. Die Frauen der Südlinge, abgesehen von jenen, die dem Zuchtbestand ihrer Schule übergeben werden und uns hier nicht zu kümmern brauchen, entscheiden sich für Männer mit kleineren, helleren Augen. Die Frauen der Yemmu werden, wenn sie die Wahl haben, sich Männern verfügbar machen, die leichter gebaut sind und eine aufrechtere Haltung haben. In der Tat würden die Rassen im Laufe der Zeit wieder zu einer einzigen Form verkümmern, wäre da nicht der männliche Trieb, das Exotische auch in der Fleischeslust zu erforschen.
Die Skandale um Robbe Sastillin sind das klassische Beispiel. Er war ein Mann von edler Gestalt und edlem Blut, ein Mann mit vielen Möglichkeiten und Aussichten bei Hofe, der eine Reihe von Cinnae-Mädchen in sein Bett führte. Dadurch wurde er erniedrigt, und die Mädchen wurden ruiniert, aber just in dem Augenblick handelten sie alle aufgrund der niederen Impulse, die ihrer Natur entsprachen.
Geder legte eine Fingerspitze auf den Abschnitt und lehnte sich zurück. Es schien ihm nicht glaubwürdig. Nicht zum ersten Mal wünschte er sich, Basrahip und die Göttin könnten genauso viel über die Wahrheit geschriebener Worte herausfinden wie über die gesprochener.
Stimmte es?, fragte er sich. Würde sich eine Frau aus einer der Geschaffenen Rassen einfach aufgrund seiner Rasse zu einem Erstgeborenen hingezogen fühlen? Hatte Cithrin bel Sarcour sich für ihn
Weitere Kostenlose Bücher