Dollars
durfte. Sie hatte also ihr Reich für sich, bekam die Leute von der Firma niezu sehen und war nach Feierabend ganz allein im Haus. Als sie den Schlüssel ins Schloß der Wohnungstür steckte, entschuldigte sie sich noch, daß es nicht besonders groß sei.
Sie hatte im gesamten Dachgeschoß, das aus diversen Zimmerchen und Abstellkammern bestanden hatte, Zwischenwände herausreißen lassen, so daß ein eigenwilliger Raum voller Ecken und Nischen entstanden war, den sie mit bequemen Sofas und Sesseln vollgestellt hatte, die mit den verschiedensten Fellen und Häuten bedeckt waren. Hier lag ein Kapital an Pelzen. Ich sah Tiger- und Leopardenfelle und auf dem Fußboden Bärenfelle.
Sie sah meinen verblüfften Blick und sagte verlegen: »Mein Onkel war Großwildjäger, und die Felle hat er mir alle geschenkt, als er hier ausgezogen ist. Findest du es häßlich?«
Im Gegenteil, ich hatte selten einen so chaotisch eingerichteten und dabei so gemütlichen Raum gesehen. Er war überdies mit Tischchen und Schränkchen gespickt, auf denen wiederum allerlei Vasen und sonstige Sachen standen.
»Alles Souvenirs aus dem Ausland«, sagte sie mit einer achtlosen Gebärde, »das ist ein Vorteil meines Berufs. Meine ganze Sammlung und alle meine Kleider stammen aus dem Ausland. Ich bringe auch immer etwas zum Essen und Trinken mit, das man hier nicht bekommt. Apropos Trinken, möchtest du zuerst einen Kaffee?«
Zuerst, sagte sie. »Gern.«
Sie ging auf eine Tür zu. »Ich setze den Kaffee auf und lauf noch mal schnell nach unten, dem Milchmann einen Zettel hinlegen. Mach es dir bequem, ich bin gleich wieder da.«
Als sie weg war, schaute ich mich noch einmal genauer um und sah, daß das, was sie ihre Sammlung genannt hatte, eine ziemlich große Kollektion Jugendstilporzellan war. Und an den Wänden hingen eine Menge Lithografien, Zeichnungen und Drucke, unter anderem von Beardsley. Sie war mit Sicherheit eine Ausnahmeerscheinung unter ihren Kolleginnen.
Ein großes, geöffnetes Fenster auf der anderen Seite des Raums bot Ausblick auf den Vondelpark. Das Mondlicht lag wie Pulverschnee über dem stillen Park und ließ einen Ententeich wie einen beschlagenen Spiegel aussehen. Der Schein einer Fahrradlampe irrlichterte durch die Dunkelheit wie ein Glühwürmchen. Ich schauderte. Der Herbst wurde fühlbar. Ich schloß das Fenster, setzte mich und schlug die Zeitung auf. Im Knast hatte ich noch hin und wieder eine Zeitung in die Hände bekommen, aber in Spanien und Schweden hatte ich überhaupt nicht mehr Zeitung gelesen. Ich versuchte, dem politischen Kommentar zu folgen, begriff aber wenig. Sogar einige Politikernamen hatte ich noch nie gehört. Halb lesend, halb an Pauline denkend, träumte ich ein wenig vor mich hin, bis die Tür aufging und sie mit einem Tablett hereinkam. Sie hatte nicht nur Kaffee gekocht – in einem ConaKaffeebereiter aus Glas –, sondern sich auch umgezogen. In ihrem bis auf den Boden fallenden Hausmantel aus schimmerndem Samt, der mit ineinanderfließenden roten und ockerfarbenen Blumen bedruckt war, sah sie aus, als sei sie geradewegs einem von Beardsleys Schmachtfetzen entstiegen. Sie stellte das Tablett mit dem Cona vor mich auf den Tisch.
»Möchtest du vielleicht etwas Stärkeres dazu?« fragte sie, während sie den Kaffee einschenkte.
»Immer.«
»Ach, hol dir einfach selbst, was du magst.« Sie zeigte auf eine Holzvitrine, die eine Reihe feiner Tropfen enthielt, puertoricanischen Rum, irischen Whiskey, echten Sliwowitz, polnischen Kontuschowka, Grappa... Sie schien sich auszukennen.
»Du scheinst dich auszukennen«, sagte ich, während ich zur Grappaflasche griff und den Korken herauszog.
Siehatte unterdessen den Kaffee eingeschenkt. »Zucker?« »Nein, danke.«
»Ich frage immer die Piloten nach der Spezialität des Landes, in dem wir gerade sind, und das kaufe ich dann. Trinken tue ich es nie.«
»Wieso kaufst du es dann?«
Sie fummelte erst noch am Cona herum, bevor sie antwortete, hob dann den Kopf und sah mich unschuldig an. »Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß eines Tages jemand kommt, der es zu schätzen weiß. Keine Milch?«
»Nein, danke.« Meine Stimme war heiser vor Erregung. Ich kippte das Glas Grappa in einem Zug hinunter. Es war wie kochendes Blei, aber köstliches Blei.
»Leg doch bitte eine Platte auf, Sid.«
»Was möchtest du hören?«
»Wozu du Lust hast.«
Der Plattenspieler stand auf einem Tischchen hinter dem Sofa, auf dem sie saß. Um richtig heranzukommen,
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