Dollars
hatte ihre anfängliche Reserviertheit einer Art begeisterter Kameradschaftlichkeit Platz gemacht, die auch noch geknackt werden mußte. Sie erzählte mir von ihrer Kindheit in Indonesien und ging so in ihrer Geschichte auf, daß ich eine Weile nicht zuzuhören brauchte und auf den Italiener achten konnte, der auf der anderen Straßenseite mitging. Ich versuchte mir sein Gesicht einzuprägen, aber das war nicht so einfach, denn er war klein und dunkel und trug einen kurzen Regenmantel und spitze Schuhe wie ein paar Millionen anderer Italiener.
Ich sah fürs erste von meinem ursprünglichen Vorhaben, mit Carlos Organisation in Kontakt zu kommen, ab, da ich Pauline für den weitaus interessanteren Zeitvertreib hielt. Also wollte ich meinen lästigen Begleiter jetzt so schnell wie möglich los sein. Während wir ins Auto stiegen, sah ich im Seitenspiegel, wie er sich mit enttäuschter Miene das Kennzeichen notierte. Er hatte offenbar nicht genügend Geld bei sich, um uns mit einem Taxi zu folgen.
Der nächste Schritt in meiner Strategie führte uns in das Drie Flesjes . Das war eine sogenannte Probierstube in der Nähe vom Dam. Holzfußboden, Holzfässer längs der Wände, verraucht, belebt, gemütlich, ein Ort, an dem kultivierte Menschen nach einem kultivierten Tag ein Glas trinken. Aber stehen mußte man dabei.
Frauen sind, wenn man sie zum ersten Mal dorthin mitnimmt, immer schwer beeindruckt von der urigen Ausstattung, aber nach einer halben Stunde und drei Sherry, möchten sie sich gerne mal hinsetzen, und dann gehen sie meist sofort auf das Angebot ein, noch irgendwo was essen zu gehen, obwohl sie wissen, daß das unter Umständen Konsequenzen haben könnte.
Sietrank natürlich Sherry, ich einen alten Genever. Über unsere Gläser hinweg nickten wir einander zu, wobei ihre Augen wieder beunruhigend blau waren. Sie sagte, wie nett sie das Lokal finde, ich stimmte zu, Prost, der Genever tat gut, ich fing sofort an zu glühen. Sie schaute jetzt nicht mehr die ganze Zeit von mir weg, sondern hielt den Blick ganz im Gegenteil fest auf mich gerichtet und las mir die Worte von den Lippen ab. Der Sherry tat wohl auch bei ihr seine Wirkung. Umwerfend. Ich brachte das Gespräch wieder aufs Fliegen und fragte, ob sie oft mit Jeanette zusammen fliege.
Sie zögerte kurz mit ihrer Antwort. »Manchmal.« Anscheinend wollte sie nicht so gern darüber reden, vielleicht wegen Jeanettes angeblichem Unfall, und so ging ich nicht weiter darauf ein und wechselte das Thema. Sie erwies sich als sehr belesen. Ich hatte bisher noch keine Frau kennengelernt, die sowohl Thomas Mann als auch Ernst von Salomon gelesen hatte, aber Heinrich Mann doch besser fand, obgleich Tender is the Night von Scott Fitzgerald in ihrem Leben eine genauso große Rolle gespielt hatte wie in meinem. Sie war früher in Dick Diver verliebt gewesen, ich in Nicole. Wir tauschten uns über den rätselhaften Tommy aus, den Nicole am Ende heiratet; sie hatte eine höchst interessante Theorie zu ihm. Eine Stunde später nahm sie ohne Zögern meine Einladung an, zusammen essen zu gehen, und das nicht, wie ich jetzt hoffte, weil sie gern mal sitzen, sondern weil sie wirklich noch gerne mit mir zusammensein wollte.
Als Restaurant hatte ich das Hofje für uns ausgewählt. Es gehörte damals zu der Handvoll Restaurants in Amsterdam, die auch im Ausland aufgefallen wären. Es war klein und intim und dank einer raffinierten indirekten Beleuchtung und vielen Kerzen in funkelnden Lichterglanz getaucht. Ein prachtvoller alter Fliesenboden und unverputztes Mauerwerk sorgtentrotz der engen Räumlichkeiten für relative Kühle. Aus einer unsichtbaren Anlage strömte leise Barockmusik in den Raum, was ich hier komischerweise nicht als störend empfand, obwohl ich derlei Beschallung normalerweise auf den Tod nicht leiden kann. Der Weinkeller des Hofje gehörte zu den fünf besten in Amsterdam, die Bedienung war schnell und unaufdringlich, und die Küche war nicht schlecht. Ein perfektes Ambiente, um eine Verführung in die Wege zu leiten.
Pauline war entzückt. Wir bekamen einen Tisch in einer ruhigen Ecke. Sie bat mich, das Menü zusammenzustellen, da sie die Küche nicht kenne, und ich fühlte mich durch ihr Vertrauen in meinen kulinarischen Geschmack sehr geschmeichelt. Ich hoffte nur, daß die Qualität der Küche in den letzten drei Jahren nicht nachgelassen hatte.
Wir begannen mit zwei knochentrockenen Martinis. Eine Weile nippten wir schweigend an unseren Gläsern.
Weitere Kostenlose Bücher