Dollars
Autobahn und fuhren in ein Labyrinth dunkler Landstraßen. Ich versuchte, mir bestimmte Punkte mit Wiedererkennungswert zu merken, verlor aber in der Dunkelheit schon bald die Orientierung. Ich hatte unterwegs von Zeit zu Zeit möglichst unauffällig in den Rückspiegel geschaut und gemeint, stets die gleichen Scheinwerfer hinter uns zu sehen. Jedenfalls fuhr eine Weile ein Auto hinter uns her, das keinerlei Anstalten machte, uns zu überholen. Meine beiden Begleiter schenkten dem keine Beachtung. Sie waren schweigsam, wahrscheinlich nicht nur wegen ihres begrenzten englischen Wortschatzes, sondern vermutlich, weil sie ihre Muttersprache auch nicht besser beherrschten. Das Gesicht des Mannes hinter mir konnte ich natürlich nicht sehen, aber der Fahrer – er fuhr übrigens schnell und sicher und schien den Weg gut zu kennen – hatte große Ähnlichkeit mit einem Pavian. Er trug einen weißen, taillierten Regenmantel, wie ihn Gangster in französischen Filmen immer tragen.
Als wir in dem Wirrwarr kleiner Nebenstraßen gelandet waren, sah ich keine Scheinwerfer mehr im Rückspiegel aufleuchten und mußte annehmen, daß King, falls er es denn überhaupt gewesen war, uns verloren hatte.
Das war mir inzwischen auch ziemlich egal. Ich fühlte mich resigniert und ausgebrannt. Was mit mir geschah, war fern jeder Realität. Es schien nicht mal mehr ein Traum zu sein. In einem Traum spielt man immer noch eine Rolle, sei es auch verzerrt, aber hier wurde ausschließlich mit mir gespielt. Da fiel mir ein, daß ich vielleicht noch ein Pervitin in der Brieftasche hatte, für den Notfall. In Spanien kann man die Dinger praktisch pfundweise kaufen, und ich hatte mich dort gut damit eingedeckt.
DerFahrer erschrak über meine Handbewegung, als ich den Regenmantel aufknöpfte, und blaffte: »Achtung.«
Sofort spürte ich wieder den kalten Stahl im Nacken. »Ich tu’ nichts«, sagte ich beschwichtigend auf englisch und tastete weiter. Doch als ich die Pille schließlich gefunden hatte und in den Mund stecken wollte, hielt der Fahrer meine Hand fest.
»Was ist das?« fragte er erschrocken und nahm den Fuß vom Gas.
»Ein Aufputschmittel. Pervitin.«
»Kein Gift?«
Ich machte seine Hand los und schob die Pille in den Mund. »Klar doch«, sagte ich, »eine tödliche Dosis. Willst du auch eine?«
Er sagte nichts, aber erst als ich nach fünf Minuten immer noch nicht tot war, schien er beruhigt zu sein.
Schließlich und endlich hielten wir vor einem Bungalow, der versteckt am Rand eines Waldes lag. Eine Schiffslaterne an der Pforte warf altmodisch gelbliches Licht in den Garten, wo zwischen Kiefern vom Wind zerzauste Blumen in pseudogriechischen Amphoren standen. »Festina lente« * stand in schmiedeeisernen Schnörkellettern über der Eingangstür. Der Bewohner des Hauses hatte Sinn für Kultur, das war nicht zu übersehen. Der Mann von der Rückbank stieg als erster aus, danach bedeutete mir der Fahrer mit einer ungeduldigen Handbewegung, daß ich ihm folgen könne.
Ein kräftiger Nachtwind rauschte durch die Bäume um uns her, und der feuchte Wald roch streng und würzig nach Herbst.
Icherkannte den Geruch von früheren Ferien bei meinen Großeltern wieder, vom Pilzesuchen im Wald hinter ihrem Haus. Die schwedischen Wälder hatten ganz anders gerochen.
Das Haus schien sehr einsam gelegen zu sein, ich sah zumindest kein anderes Licht ringsum. Der Mann, der hinter mir gesessen hatte, ein Paradebeispiel für Lombrosos geborenen Verbrecher, spindeldürr und mit einer blauen Geschwulst über dem linken Auge, geleitete mich, die Hand locker an meinem Ellbogen, zum Eingang. In einer offenen Garage neben dem Haus standen zwei weitere Wagen. Im nassen Kies davor waren tiefe Reifenspuren zu erkennen. Der Mann klingelte, dreimal ganz kurz, und die Tür sprang auf.
»Da rein.« Er schob mich in den Hausflur und deutete auf eine Tür. Es war so weit. Festina lente, dachte ich und bewegte mich möglichst langsam auf die gezeigte Tür zu. Das Pervitin zeigte unterdessen Wirkung. Ich sah alles um mich herum überdeutlich, so als befände ich mich in dünner Hochgebirgsluft.
An der Wand hing eine gerahmte Winterlandschaft von Anton Pieck ** . Natürlich, Anton Pieck darf nirgendwo fehlen, dachte ich, der wird mich wohl auch noch ins Grab begleiten.
An der Garderobe hing eine schwarze Mütze. Eine Totenkappe. Auf halbem Wege kam ich an der offenstehenden Küchentür vorüber. Auf dem Herd köchelte ein Wasserkessel, und ich sah den
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