Dollars
kühl, und ein Stück weiter weg war eine Gastwirtschaft mit einem Parkplatz davor, auf dem riesige Lastwagen standen. Fleischtransporter wahrscheinlich, die ins Ausland fuhren. Hinter der Gastwirtschaft war ein Lagerschuppen, hinter dem ein großes Frachtschiff liegen mußte, denn man sah über dem Dach des Schuppens gelbgestrichene Bordkräne in die trüben Wolken aufragen.
Der Opel bremste ab und bog auf den Parkplatz ein. Ich nahm sofort den Fuß vom Gas, fuhr aber zunächst noch langsam ein Stückchen weiter. Der Opel parkte neben einem großen Lastwagen, und der Mann stieg aus und ging auf die Gastwirtschaft zu. »Am Binnenhafen« stand über dem Eingang des quadratischen Baus, der sich inmitten all der fensterlosen Gebäude trist und deplaziert ausnahm.
Neben dem Lokal war eine Tankstelle, bei der ich wendete. Dabeifiel mein Blick auf ein Türmchen ein paar hundert Meter weiter, das mir bekannt vorkam. Es erhob sich auf dem Dach eines monströsen Gebäudes, das ich zwar nur zweimal in meinem Leben gesehen hatte, aber wohl nie mehr vergessen würde. Es war die Dachkuppel des Lloyd Hotel , früher ein Hotel der gleichnamigen Reederei, inzwischen Strafanstalt. Und in dieser Funktion hatte ich es kennengelernt. Ich hätte nicht erwartet, es je im Leben wiedersehen zu müssen, aber der Zufall hatte es, wie man so schön sagt, anders gewollt.
Als ich dort eingesperrt gewesen war, hatte ich nichts von der Umgebung zu sehen bekommen und nicht genau gewußt, in welcher Ecke der Stadt ich mich eigentlich befand. Aber die Geräusche, die ich dort hörte, würde ich nie vergessen. Das scharfe Rattern der Züge auf dem Bahndamm, das melancholische nächtliche Tuten der Schiffe im Hafen, das Ächzen der Lastwagen am Kai, das Kreischen von Kränen – das war die Konzertmusik, die nach wie vor meine Alpträume begleitete.
Ich fuhr zu dem Parkplatz zurück und stellte den Wagen hinter einem Laster ab. Neben mir kam der Alfa geräuschlos zum Stehen. Bruno öffnete das Seitenfenster. »Was jetzt?«
»Bleibt ihr im Wagen, ich schau mich mal um.«
Ich stieg aus und ging um den Lastwagen herum. Die Gastwirtschaft war hell erleuchtet, so daß ich gut hineinschauen konnte. Es war proppenvoll. So wie man sich in der Innenstadt nach der Arbeit noch auf ein Gläschen Wein traf, trank man hier im Hafen sein Bier. Hafenarbeiter sind Biertrinker. Meinen Italiener sah ich nicht gleich, bis er plötzlich aus einer Telefonkabine kam und auf den einzigen noch freien Tisch zuging. Er machte ein besorgtes Gesicht. Ein Ober brachte ihm eine Flasche Bier.
Ich ging zum Alfa zurück. »Er hat jemanden angerufen, auf dener jetzt wohl wartet. Sobald der da ist, geh’ ich rein und rede mit ihnen. Wenn ihr euch dort hinter den LKW stellt, könnt ihr uns drinnen sehen. Wenn ihr seht, daß irgendwas schiefläuft, kommt ihr natürlich sofort rein, aber wenn sie sich ruhig verhalten, wartet ihr noch fünf Minuten. Geht dann an die Theke und trinkt ein Bier. Das soll nur dazu dienen, sie einzuschüchtern, versteht ihr, sie sollen merken, daß wir schlauer sind als sie.«
»Okay.« Sie stiegen aus, und wir gingen zu dem Lastwagen. Durch die Lücke zwischen Zugmaschine und Aufleger konnten wir geradewegs ins Lokal hineinschauen, während wir selbst in Deckung blieben.
Ich hatte keinen Mantel an und fröstelte. Die Brüder hatten sich fest in ihre Regenmäntel gehüllt und spähten zum Lokal hinüber. Ihre schwarzen Augen fixierten den Mann aus dem Opel. Ich fragte mich, was sie wohl dachten. Der steife Wind blies uns den Regen ins Gesicht. Er schmeckte nach Öl und Holz. Der Lastwagen, hinter den wir uns duckten, kam, wie ich sah, aus Wien. »Wien 1, Fleischmarkt«, stand darauf. Komisch, daß die eigentlichen Zentren des Lebens einer Stadt immer an deren Peripherie liegen. Die Häfen, die Im- und Exportunternehmen, die Bahngleise, Flughäfen – sie sind das Herz und die Nieren, die Leber und die Blase der Großstädte. Die City, die Innenstadt, ist das Gehirn. Aber gerade das macht eine Stadt so verletzlich. Man brenne die Außenbezirke nieder, und die Stadt wird zur gestrandeten Qualle.
Nach einigen Minuten näherten sich zwei Männer auf Fahrrädern. Sie trugen Overalls und Gummistiefel. Sie stiegen ab, stellten ihre Fahrräder in einen Ständer vor der Gastwirtschaft und gingen hinein. Wir sahen sie direkt auf den Mann aus dem Opel zulaufen. Er schaute auf und nickte ihnen zu. Sie setzten sich und fingen gleich an zu reden.
»Dann geh ich
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