Dollars
Norden sind anders als die Mädchen bei uns.« Damit war die Sache, Jeanette, für ihn erledigt.
»Hat er öfter jemanden mit nach Hause gebracht?« »Eigentlich nicht.«
»Doch«, unterbrach uns Bruno. »Diesen Journalisten, du weißt doch.«
»Carlo Voltini?« fragte ich.
»Genau«, riefen sie.
»Was halten Sie von dem?«
Enzo sagte nichts. Bruno machte nur angewidert: »Ugh...« »Und Romeo?« fragte ich.
»Das ist schwer zu sagen. Er ist wohl geschäftlich wichtig für ihn, deshalb muß er nett zu ihm sein. Aber Vater traut ihm nicht und hat Romeo vor ihm gewarnt.«
»Es geht also in letzter Zeit wieder besser zwischen Romeo und Ihrem Vater?«
»Viel besser. Seit er Geld verdient.«
»Und warum wollen Sie ihn jetzt besuchen?«
Enzo antwortete: »Ich habe mein Examen bestanden, und für das Geld, das ich dafür von Vater bekommen habe, habe ich mir das Auto gekauft.« Er bemühte sich, nicht allzu stolz zu blicken. »Gebraucht natürlich. Wir haben beide noch Ferien, und da wir Nordeuropa noch überhaupt nicht kennen...«
Bruno nippte derweil mit angeekeltem Gesicht an seinem Kaffee. Es war nicht ganz eindeutig, was ihm so mißfiel, Nordeuropa oder mein Kaffee. Ich erhob mich, steckte die Hände in die Taschen und ging im Zimmer auf und ab. Die beiden schwiegen, und ich wußte nicht genau, wie ich es ihnen beibringen sollte.
BisBruno mit eigenartiger, belegter Stimme sagte: »Na los, sag’s schon.«
Ich blieb stehen, sah sie an und sagte: »Romeo wurde erschossen.«
Sie rührten sich nicht, sahen mich mit ihren schwarzen Augen nur unverwandt an. Schließlich sagte Enzo: »Das war nicht anders zu erwarten. Wie ist es passiert?« Seine Stimme war sehr beherrscht, klang aber dennoch anders als vorher.
Ich erzählte von Beginn an, seit ich vor fünf Tagen in Amsterdam angekommen war. Ich erzählte ihnen ausführlich von Carlo, Frau Effimandi, King, Schlüffer, Herrn und Frau van den Broek. Von Henderson, Daisy und Pauline. Und von Romeo. Sie hörten mir zu, ohne sich irgendeine innere Regung anmerken zu lassen, stellten nur hin und wieder scharfe Fragen, wenn ich den Faden verloren hatte oder sie nicht aus meinem Italienisch schlau wurden. Sie schienen wirklich für eine Karriere vor Gericht prädestiniert zu sein, diese verbissenen, scharfsinnigen, unfrohen Jungs.
»Das wär’s«, sagte ich zu guter Letzt und blieb stehen. Da erst merkte ich, daß ich beim Erzählen ununterbrochen auf und ab gegangen war. Ich setzte mich wieder. Zugleich erhob sich Bruno. Er trat ans Fenster und schaute nach draußen. Eine dicke Wolkendecke hing über der Stadt und dem Park. Es war naßkalt und trotzdem drückend. Bruno stand mit seinem schmalen Rücken zu uns und zeichnete mit der rechten Hand Männchen auf die Fensterscheibe, die von außen mit Regentropfen getüpfelt war. Nach einer langen Pause sagte er: »Romeo mag ein Mistkerl gewesen sein, aber er war unser Bruder. Daß er von einem hinterhältigen deutschen Schwein über den Haufen geschossen wird, ist sicher nicht das, was Vater mit seinem ältesten Sohn im Sinn hatte.« Er verstummte und malte weiter seine Männchen auf die Scheibe. Enzo rauchte undstarrte an die Decke. Ich studierte meine Fingernägel und sagte beiläufig: »Wenn ihr wollt, kann ich euch zur Polizei bringen. Aber ich komme nicht mit rein.«
Abrupt drehte Bruno sich um und sagte, ohne mich anzusehen und ohne die Zähne auseinanderzunehmen, zu seinem Bruder: »Ich schlage vor, daß wir uns mal mit diesem Schlüffer unterhalten.« Er sprach den Namen komisch aus. Enzo löste den Blick von der Zimmerdecke, und unsere Blicke kreuzten sich.
Ich räusperte mich und schnippte unnötigerweise die Asche von meiner Zigarette. »Setz dich«, forderte ich Bruno auf. Meine Stimme schnappte fast über, so aufgeregt war ich auf einmal. »Setz dich. Ich habe einen Plan.«
15
Eine Stunde später wurde der Himmel plötzlich dunkelbraun, und unversehens fiel ein Sturm über den Park her. Dicke Wolken aus roten und gelben Blättern wirbelten mit Staub und Abfällen vermischt über die Wege, und auf den schlammigen Teichen tanzten Schaumkronen. Ich stand am Fenster, sog ungeduldig an meiner Zigarette und trank mehr oder weniger gedankenlos mein drittes Glas Sliwowitz. Die Flasche stand vor mir auf der Fensterbank, neben einem Aschenbecher, in dem sich die Reste eines Viertelpäckchens Zigaretten häuften.
Endlich läutete das Telefon. Ich hatte so gespannt auf das erlösende Signal gewartet, daß ich
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