Dolly - 06 - Abschied von der Burg
noch einmal hin und zurück. Dann hatte sie den Unterricht abgebrochen, weil Irmgard einigen ihrer Anweisungen keinerlei Beachtung geschenkt hatte.
„Du schwimmst da ganz gemütlich vor dich hin und machst falsche Bewegungen mit deinen Beinen“, hatte Amanda gesagt. „Ich habe dir das zugerufen, aber du machst einfach weiter.“
„Glaubst du, ich kann auch nur ein Wort verstehen, wenn meine Ohren voller Wasser sind und mir meine Arme um den Kopf donnern?“ hatte Irmgard patzig geantwortet. „Sicher, in der Schule kann man bestimmt deine Stimme hören, und ich zweifele auch nicht daran, daß sie sogar an der Poststation unten im Dorf zu hören ist. Sie ist laut genug. Aber ich hörte sie nicht! Du holst dir besser ein Megaphon – obwohl ich der Ansicht bin, deine Stimme ist immer noch lauter als jedes Megaphon…“
„Das reicht!“ sagte Amanda. „Von einer Zweitkläßlerin lasse ich mir keine Unverschämtheiten bieten.“
„Und ich bin langsam soweit, daß ich von einer aus der Sechsten keine Befehle mehr entgegennehme“, sagte Irmgard und trocknete sich ab. „Ich habe langsam die Nase voll! Laß dir das ein für allemal gesagt sein!“
Amanda wollte eine sehr scharfe Antwort geben, aber sie hielt sich zurück. Sie war mittlerweile sehr stolz auf Irmgard geworden. Trotz ihrer Unfreundlichkeit und Schweigsamkeit war Irmgard die ideale Schülerin. Es wäre jammerschade, jetzt mit dem Unterricht aufzuhören, jetzt, da Irmgard nahezu vollkommen im Tennis und im Schwimmen war. Sie war längst gut genug für die zweite Mannschaft, und Amanda hatte vor, sie es in ein oder zwei Wochen versuchen zu lassen.
Beinahe kam es zu einem ernsthaften Krach
So wandte sie sich ab. Sie kochte innerlich, aber sie ließ es sich nicht anmerken. Irmgard grinste in sich hinein. Sie wußte ganz genau, daß Amanda den Unterricht jetzt nicht aufgeben wollte.
Im Schwimmen leistete Amanda vielleicht am meisten. Das bloße Zuschauen, wenn sie durch das Becken spurtete, das war schon ein großartiger Anblick. Niemand anders konnte auch nur halb so schnell schwimmen.
Und über das Schwimmen machte sich Amanda schwere Gedanken. Das Schwimmbecken reichte ihr nicht aus. Sie wollte in die See hinausschwimmen. Wie konnte sie für lange Strecken trainieren, wenn sie nicht hinausschwamm? Das Schwimmbecken war zwar sehr schön, es war lang und auch breit und tief, aber es blieb trotzdem nur ein Becken. Amanda wollte kilometerweit schwimmen. Zwei Kilometer, drei Kilometer! dachte sie. Bei Burg Adlerhorst war die Küste sicherer. Hier gab es gefährliche Strudel und spitze Felsen, an die Tag und Nacht die Wellen donnerten. Aber Amanda glaubte stark genug zu sein, um sogar einen kräftigen Strudel zu überwinden.
Auf Möwenfels war es niemandem erlaubt, in der offenen See zu schwimmen. Das war ein unbedingtes Verbot. Wer richtig im Meer baden wollte, der konnte in einiger Entfernung in einer anderen Bucht schwimmen.
Es hatte auch niemand einen solchen Wunsch. Gewaltige Wellen kletterten die Felsen hinauf und schlugen in das Schwimmbecken.
Sogar an windstillen Tagen saugte und schwappte das blaue Wasser und donnerte mit gewaltiger Kraft an die Felsen. Amanda liebte die Gewalt des Wassers und sehnte sich danach, ihre Kräfte mit der See zu messen. Sie empfand keinerlei Furcht.
Sollte sie die Gelegenheit nutzen und einmal hinausschwimmen? Sie kümmerte sich nicht darum, daß es Krach geben würde. Sie wollte sowieso nicht lange auf Burg Möwenfels bleiben; die Vorschriften konnten sie also nicht abschrecken. Plötzlich faßte sie ihren Entschluß.
Ich werde hinausschwimmen. Ich habe mit Hans, dem Fischerjungen, gesprochen, und er hat mir gesagt, wo Strudel sind. Ich werde bei Ebbe unten an den Felsen in tiefes Wasser springen und dann in westliche Richtung schwimmen, so kann ich die schlimmsten Strudel vermeiden. Das sollte eigentlich gehen.
Die Frage war nur: Wann war sie unbeobachtet? Sie fürchtete keinen Krach, aber es wäre töricht, hinauszuschwimmen, wenn man sie beobachtete. Amanda dachte nach.
Ganz früh am Morgen! Das wird am besten sein, dachte sie. Ganz früh. Niemand ist dann schon auf. Ich kann fast eineinhalb Stunden schwimmen, das wird herrlich!
Nach diesen Überlegungen fühlte sich Amanda glücklich. Sie wünschte, die Sache mit Irmgard ließe sich genauso leicht erledigen. Aber das lag ja nicht an ihr. Wenn Irmgard rüpelhaft sein und alles schwierig machen wollte, dann würde es einen ernsthaften Krach geben.
Ich möchte aber
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